“Es geht darum, wie wir Europa stark machen können.” Das waren die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz vor seinem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Dezember letzten Jahres. Vier Wochen später wird man den Eindruck nicht los, dass die SPD an vielem Interesse hätte, aber nicht an europäischer Stärke – schon gar nicht an außenpolitischer Stärke. Wieder einmal muss die SPD ihr Verhältnis zu Russland klären, und das während einer beispielslosen Krise an der ukrainischen Grenze.
Verstehen Sie mich nicht falsch, wir alle sind es bereits gewohnt, dass ein außenpolitischer Geisterfahrer wie Fraktionschef Rolf Mützenich in Fragen der Außenpolitik eigentlich immer konstant daneben liegt. Auch in diesem Fall, so betonte er, “dass sich die Koalitionsparteien darauf verständigt haben, Nordstream 2 nicht nach geopolitischen Kriterien zu bemessen.” Diese Aussage ist natürlich ein schlechter Scherz – um zu verstehen, dass Russland Gas-Geopolitik betreibt, hätte ein Blick auf die Energiepreise der letzten Wochen gereicht. Im Zweifel würde auch ein Telefonat mit Vertretern aus Kiew, Tallinn oder Riga Abhilfe schaffen – auch wenn bei Mützenich davon ausgegangen werden muss, dass der Osten für ihn erst an der russischen Grenze beginnt.
Wer Nordstream 2 für kein geopolitisches Projekt hält, heißt entweder Markus Söder, ist ein Idiot oder betreibt konsequente Realitätsverweigerung. Dass Ostnostalgiker wie Mützenich es nicht verstehen, muss in diesem Sinne nicht verwundern. Wenn aber unsere Verteidigungsministerin einen ähnlichen Ton anschlägt, schwächt die SPD mit ihrer Russlandkuschelei die westliche Verhandlungsposition und macht einen Krieg wahrscheinlicher.
Es gebe keine Verbindung zwischen der Pipeline und dem Ukraine-Konflikt, so Lambrecht. Klar, aus Sicht der SPD ist das eine konsequente Position, schon im Fall des Alexei Nawalny wurde in ähnlicher Art und Weise argumentiert. Alles daran ist falsch. Nein, Nordstream 2 lässt sich nicht von Putins Truppenaufmarsch vor der ukrainischen Grenze trennen. Nein, Nordstream 2 lässt sich nicht von dem Mord an Oppositionellen trennen. Genauso wenig lässt sich ein Freihandelsabkommen mit China von den in Umerziehungslagern weggesperrten Uiguren trennen. Es heißt Außenpolitik, und nicht Außenhandelspolitik – auch wenn Deutschland in den letzten Jahren einen anderen Eindruck vermittelt hat.
Verteidigungsministerin Lambrecht und Kanzler Scholz bestätigen Deutschlands Rolle als unzuverlässiger Bündnispartner, schwächen Außenministerin Baerbock und unterwandern den Koalitionsvertrag, in dem für europäische Souveränität geworben wird. Putin hingegen wird der Eindruck vermittelt, dass Konsequenzen bei einer möglichen Invasion der Ukraine von deutscher Seite nicht folgen werden – ein fatales Signal. Dass Waffenexporte an die Ukraine blockiert werden, ist schlimm; dass man sich weigert, ein klares Signal an den Kreml zu senden, eine geopolitische Gefahr für die Welt.
Wieder einmal möchte Deutschland seine außenpolitische Verantwortung nicht tragen. Was für eine Verhöhnung der NATO, was für ein Signal an unsere osteuropäischen Partner – für die SPD stehen Gaslieferungen vor Menschenrechten und Freiheit. Wie möchte Olaf Scholz ein europäischer Kanzler sein, wenn in wirtschaftlichen Fragen an Europa vorbei regiert wird? Anstatt Angela Merkels außenpolitische Irrfahrten weiterzuführen, braucht es eine schnelle Kurskorrektur. Eine Absprache mit europäischen, transatlantischen und osteuropäischen Partnern ist zwingend notwendig – dann würde vielleicht auch Mützenich die geopolitische Komponente der Pipeline begreifen.
Ob die SPD ihren außenpolitischen Kurs ändert? Schwer vorstellbar. Kevin Kühnert erklärte unlängst in einem Interview, dass man internationale Konflikte nicht herbeireden solle. Was für eine Farce. Das Gegenteil ist der Fall; nicht Kritiker von Nordstream 2, sondern russlandtreue Genossen, die Putin einen expansiven Freifahrtsschein ausstellen, machen einen Krieg wahrscheinlicher. Nicht Russland wird für eine mögliche Invasion verantwortlich gemacht, sondern Gegner der Pipeline – eine ungewöhnliche Prioritätensetzung des neuen, offenbar in Lichtgeschwindigkeit geschröderten Generalsekretärs.
Auch seine Bemerkung, man müsse den politischen Streit beenden, um gesellschaftlichen Frieden zu schaffen, ist höchst zynisch. Gesellschaftlicher Frieden gilt wohl nur für Deutschland, die Ukraine soll sich einfach mal nicht so anstellen. Kühnert möchte wohl innerdeutschen Frieden auf Kosten von europäischer Spaltung. Hier offenbart sich die sozialdemokratische Art des Nationalismus, die Ministerpräsidentin Schwesig auf die Spitze treibt.
“Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein”, lautete das Motto der ersten sozialliberalen Koalition. Die SPD sollte sich diesem Vorhaben wieder annehmen und nicht mehr über die Köpfe unserer osteuropäischen Partner hinweg regieren. Ein erster Schritt wäre es, Nordstream 2 endgültig zu beerdigen.