Aufstieg durch Bildung

„Aufstieg durch Bildung“ ist ein viel beschworenes Postulat der Politik. Dennoch hängen die Bildungschancen auch heute noch stark von der sozialen Herkunft ab. Unser Gastautor liefert Denkanstöße, wie wir das ändern können.

Wer kennt es nicht, das Postulat „Aufstieg durch Bildung“? Dieses Versprechen machte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Bildungsgipfel, der im Jahr 2008 in Dresden stattfand.1 Mehr oder weniger häufig sind viele von uns mit diesem bekannten Ausspruch in Berührung gekommen. Sei es in der Schule oder Universität. Doch was bedeutet „Aufstieg durch Bildung“ eigentlich? Welche Herausforderungen gilt es in diesem Zusammenhang anzugehen, damit er gelingt, und: Wo fängt Bildung an?

„Bildung eröffnet Perspektiven. Sie ermöglicht es jedem Einzelnen, seine Talente zu entfalten. Bildung ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, sozialen Aufstieg und ein erfülltes Leben.“2 Wer könnte dem schon ernsthaft widersprechen? Und dennoch hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die ohne Abschluss die Schule verlassen, stetig erhöht.3 Unabhängig von der Corona-Pandemie, die das noch verstärkt hat, ist jede Schülerin und jeder Schüler, die oder der die Schule ohne Abschluss verlässt, eine bzw. einer zu viel und es versteht sich von selbst, dass der Aufwand, zu verhindern, dass diese Personen über kurz oder lang in den sozialen Sicherungssystemen (Hartz IV) landen, erheblich ist.

Bildung beginnt aber nicht erst, wenn Kinder das Schulalter erreichen. Aus der Bildungsforschung ist bekannt, dass bereits in den ersten Lebensjahren die Grundlagen für erfolgreiches Lernen gelegt werden. Der sozioökonomische Status, also beispielsweise die formale Bildung bzw. der Schulabschluss, der Beruf und das Einkommen der Eltern, haben darüber hinaus einen erheblichen Einfluss auf die Bildungschancen von Kindern. Den meisten Eltern in unserem Land wird man wohl attestieren dürfen, dass sie stets das Beste für ihre Kinder wollen, damit „sie es mal besser haben“ als die Eltern selbst. Insofern ist die Familie als Hort der Vorbereitung auf das Leben, wenn man so will, ein wichtiger Faktor, wenn es um die Möglichkeit der Nutzung von Bildungschancen für die Kinder geht.

Wenn also der Zufall, nämlich in Form des Hineingeborenwerdens in ein Land oder eine Familie einen großen, gar erheblichen Einfluss darauf hat, welche Bildungs- und damit Aufstiegschancen der- oder diejenige in den ersten Lebensjahren hat, stellt sich die Frage, inwiefern die Komponente Zufall als Einflussfaktor auf den Aufstieg durch Bildung so klein wie möglich gehalten werden kann. Hier kann beispielsweise die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten als eine ergänzende Komponente ansetzen, bevor die Kinder das Schulalter erreichen, um sie bestmöglich auf die Schule vorzubereiten, ohne dabei zu vergessen, dass Kinder auch Kinder sein dürfen, denn auch das ist wichtig. Um dies zu ermöglichen, braucht es neben ausreichenden Betreuungsplätzen auch ausreichend qualifiziertes pädagogisches Personal in den Kindertagesstätten.4

Insbesondere bei Kindern, die aus sozial schwächeren Familien kommen, muss es mit Eintritt in das Schulalter mit der Förderung weitergehen. Was ist damit gemeint? Verborgene Talente, wie musische oder mathematisch-naturwissenschaftliche Neigungen von Kindern frühzeitig zu entdecken und zu fördern, muss die Aufgabe der (Grund-)Schule sein. Idealerweise gelingt dies schon im Kindergarten bis zu einem gewissen Punkt. Dies gilt selbstverständlich für alle Kinder, jedoch insbesondere für jene aus Familien, die nicht über die (finanziellen) Möglichkeiten verfügen, ihre Kinder frühzeitig zu fördern. Eine weitere, große Herausforderung diesbezüglich ergibt sich bei Kindern mit Migrationshintergrund, sofern in deren Elternhaus nicht Deutsch gesprochen wird. Um zu vermeiden, dass diese Kinder sprichwörtlich abgehängt werden noch bevor sie eine Chance auf Entfaltung ihrer Neigungen und Talente bekommen, müssen etwaige sprachliche Barrieren frühzeitig (Kindergarten/Grundschule) beseitigt werden.

Dafür braucht es vor allem auch eines: Geld. Investitionen in Bildung und Forschung sind also eine notwendige Bedingung dafür, möglichst vielen Kindern gute Bildungschancen zu ermöglichen. Der Stadtstaat Hamburg hat beispielsweise im Jahr 2019 3,8 Milliarden Euro für Bildung ausgegeben. Dies entspricht mehr als einem Viertel des Gesamthaushaltes der Stadt in dem Jahr. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Stadt, entspricht dies einem Anteil von 3,1%. Insgesamt gaben die Bundesländer 2019 etwa 3,8 % ihres BIP für Bildung aus.5 Bei der Gesamtbewertung aller Bundesländer im Rahmen des Bildungsmonitors 2021 belegt Hamburg Platz 3, hinter Sachsen und Bayern. Schlusslichter sind hier die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bremen.

Geld allein wird die Probleme unseres Bildungssystems allerdings nicht lösen können. Es muss auch strukturell etwas passieren, wenn man möchte, dass „Aufstieg durch Bildung“ nicht zu einer hohlen Phrase verkommt, die ab und zu mal wieder Eingang in Talkshows findet, wenn die damit verbundenen Themen kurz vor einer Wahl wieder populär werden. Viel zu große Schulklassen, schon in der Grundschule, machen es Lehrerinnen und Lehrern nur schwer möglich, möglichst vielen Kindern mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen gerecht zu werden. Bis hin zum Abitur ändert sich an den Klassengrößen meist wenig bis nichts. Kleinere Klassen können aber nur dann umgesetzt werden, wenn den Schulen mehr Personal zur Verfügung steht. In großen Klassen können sich Kinder schlechter konzentrieren, so dass der Lernprozess negativ beeinflusst wird, von erhöhter Unruhe und Lärm ganz zu schweigen.6

Kinder aus Familien, die über mehr finanzielle Möglichkeiten verfügen, werden immer häufiger auf Privatschulen geschickt. Dies erscheint – mit Blick auf die zuvor beschriebenen Klassengrößen – verständlich. Natürlich bedeutet das nicht zwangsläufig, dass Kinder, die auf Privatschulen gehen, grundsätzlich bessere oder intelligentere Schülerinnen und Schüler sein müssen. Dennoch haben Kinder aus diesen Familien zumindest infrastrukturell bessere Möglichkeiten in Form von kleineren Klassen und besserer technischer Ausstattung. Die Klassengrößen des Internats „Schloss Salem“ umfassen beispielsweise in den Jahrgangsstufen 5 und 6 im Durchschnitt 15 Schülerinnen und Schüler.7

Deutschland war und ist bekannt für sein duales Berufsausbildungssystem. In früheren Zeiten haben viele Schülerinnen und Schüler nach dem Hauptschulabschluss eine Berufsausbildung, beispielsweise im Handwerk begonnen, sind so früh ins Berufsleben gestartet und haben entsprechend vom ersten Tag ihrer Ausbildung an Geld verdient und Berufserfahrung gesammelt. Die Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem hat seitdem zugenommen. Dies zeigt sich auch in tendenziell gestiegenen Abiturientenquoten je Jahrgang, wobei der Trend gegenwärtig wieder rückläufig ist.8 Häufig werden deshalb Diskussionen darüber geführt, ob das Abitur nicht viel zu inflationär vergeben – quasi entwertet – würde, wenn heutzutage „jeder“ Abitur mache. Ob dem so ist, mögen Bildungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler besser beurteilen können. Es erscheint zu einfach, aufgrund einer höheren Abiturientenquote als vor 50 Jahren von einem grundsätzlich leichter zu erwerbenden Abitur zu sprechen, als dies früher der Fall war. Korrelation ist eben nicht gleich Kausalität – das wird leider zu oft vergessen.

Man mag bisweilen zu der Auffassung gelangen, dass ein (sozialer) Aufstieg durch Bildung nur noch dann möglich ist, wenn im Anschluss an das Abitur ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule absolviert wird. Der Fachkräftemangel zeigt indes, dass dies mitnichten der Fall sein muss. Menschen können auch mit einer absolvierten Berufsausbildung ein glückliches und erfülltes Leben führen. Der Soziologe wird mir meine Haare schwerlich schneiden können und die Informatikerin repariert mir mein Auto vermutlich auch nicht. Davon abgesehen ist auch nicht jeder Mensch mit einem Studium glücklich. Dies lässt sich auch an der Zahl derer erkennen, die ihr Studium vorzeitig beenden: Im Jahr 2017 hat knapp jeder dritte Student die Universität ohne Abschluss verlassen.9

Zum Glück sind wir Individuen und allein schon deshalb unterschiedlich. Wir unterscheiden uns in unseren Fähigkeiten und Neigungen, so dass die „Massenveranstaltung“ Universität nicht für jeden Menschen etwas ist. Mancher ist mit einer Berufsausbildung einfach glücklicher. Abgesehen davon entdeckt der eine oder die andere erst nach mehreren Jahren im Beruf ihr Interesse an einem Studium bzw. einer Weiterbildung. Gut so, denn auch hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, unterschiedliche Studiengänge in Form eines Teilzeitstudiums neben dem Beruf zu absolvieren, wenn man will. Viele Arbeitgeber unterstützen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch finanziell dabei.

Der (soziale) Aufstieg durch Bildung kann also gelingen. Viele Wege führen hier sprichwörtlich nach Rom, wenn man bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen. Unterstützung sollte jeder und jede bekommen, wo immer sie erforderlich sein mag. Man muss aber auch bereit sein, den Weg zu gehen, der notwendig ist, um sein Ziel zu erreichen.


Dieser Beitrag erschien zuerst in “Liberale Perspektiven”, dem Magazin des Verbandes Liberaler Akademiker.


Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung des Gastautors wider.


Gastautor
  1. Vgl. „Merkel ruft Bildungsrepublik aus“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2008.[]
  2. https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/bildungsforschung/aufstieg-durch-bildung/aufstieg-durch-bildung.html[]
  3. Vgl. „Zahl der Schulabbrecher steigt“, in Zeit Online, 2019 und „Zahl der Schulabbrecher im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt – Tendenz steigend“, in Redaktionsnetzwerk Deutschland, 2021.[]
  4. Vgl. „Bildung in der frühen Kindheit“, Bundesministerium für Bildung und Forschung.[]
  5. Vgl. „Bildungsbericht Hamburg 2020“, herausgegeben von der Behörde für Schule und Berufsbildung.[]
  6. Vgl. „Gesamtbewertung der Bundesländer beim Bildungsmonitor 2021“, Statista, August 2021.[]
  7. Vgl. Webseite des Internats Schloss Salem.[]
  8. Vgl. „Die Grenzen des deutschen Bildungssystems“, Tagesspiegel, Juni 2020.[]
  9. Vgl. „Wer schmeißt hin – und warum?“, Spiegel Online, Juni 2017.[]

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