Freiheitsrechte in der Pandemie

Warum wir die Einschränkungen unserer Freiheitsrechte ständig hinterfragen müssen, ohne dabei den Feinden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf den Leim zu gehen.

Seit März 2020 befindet sich Deutschland wie der Rest Europas und der Welt im pandemiebedingten Ausnahmezustand. Großveranstaltungen wurden verboten, Schulen und Geschäfte geschlossen, Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen eingeführt. Extremisten und Demokratiefeinde nutzen diese Situation für ihre gefährliche Agenda.

Am 1. August 2020 gingen in Berlin nach polizeilichen Angaben etwa 20.000 Personen auf die Straße, um gegen die Freiheitseinschränkungen durch die Coronavirus-Schutzverordnungen zu demonstrieren. Masken- und Abstandsregeln wurden demonstrativ missachtet. Bemerkenswert war, wer sich alles auf der Demo tummelte. Neben Ottonormalbürgern aller Altersgruppen und Familien sah man wahrscheinlich das gesamte politische Spektrum: Vom Linksautonomen bis zum Neonazi mit Reichsflagge in der Hand. Die geballte Querfront.

Die Wahrheit ist natürlich: Nahezu jedes Freiheitsgrundrecht wurde bereits aufgrund der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Wirtschaftlich sind viele Menschen stark von den Einschränkungen der Berufs- und Gewerbefreiheit betroffen, die zum Glück mittlerweile in vielen Bereichen zumindest gelockert werden konnten. Besonders Ehrenamtliche, alle Arten von Vereinen und politisch Engagierte trifft die Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch Veranstaltungsverbote hart. Viele Menschen sind durch die Einschränkungen verunsichert, einige fühlen sich ungerecht behandelt oder unverhältnismäßig eingeschränkt.

Teil der Wahrheit ist natürlich auch, dass einige Einschränkungen über das Ziel hinausgeschossen sind. Markus Söders bayrischer Sonderweg – Ausgangsbeschränkung statt Kontaktverbot – stellt ein eindrucksvolles Beispiel hierfür dar. Warum es aus Infektionsschutzgründen verboten sein sollte, allein oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts an der frischen Luft zu verweilen, kann man keinem Menschen vernünftig erklären. Auch die kuriose 800-Quadratmeter-Regelung bei der Wiedereröffnung des Non-Food-Einzelhandels wurde zurecht scharf kritisiert. Einen besonders absurden Auswuchs des deutschen Bürokratismus stellte die Anordnung aus Hannover dar, nach der als Kontaktpersonen geltende Kindergartenkinder innerhalb des Haushalts von der Familie isoliert werden sollten – selbstverständlich einerseits realistisch gesehen in der Umsetzung völlig utopisch und andererseits eine grausame Vorstellung, sollte das tatsächlich so umgesetzt werden.

Die Hildmanns der Nation

So sehr diese Maßnahmen mit Bürokratie, „übers Ziel hinausgeschossen sein“ oder der Erforderlichkeit schnellen Handelns zur Eindämmung des Virus erklärbar sein mögen – letztendlich sind sie und alle vergleichbaren Vorkommnisse Wasser auf die Mühlen der Attila Hildmanns der Nation. Ursprünglich bekannt geworden als Autor veganer Kochbücher und Teilnehmer mittelmäßiger Unterhaltungssendungen im Privatfernsehen, brachte es der Brandenburger in der Pandemie zu trauriger Berühmtheit. Auf seinem von mehr als 70.000 Personen verfolgten Telegram-Channel versorgt Hildmann seit Monaten seine Anhänger nahezu im Minutentakt mit Verschwörungstheorien über Angela Merkel, Zwangsimpfungen, Bill Gates und die angeblich bald kommende „Neue Weltordnung“. Begleitet wird dies von antisemitischen und rechtsextremistischen Narrativen und Glorifizierung des NS-Regimes.

Auch die AfD nutzte den Lockdown für ihren üblichen Populismus, wenn auch ihr Vorgehen mit dem Attila Hildmanns in keiner Weise vergleichbar ist. Während die Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Alice Weidel, noch im März das Herunterfahren des öffentlichen Lebens in Deutschland forderte, positionieren die Rechtspopulisten sich mittlerweile als Anti-Lockdown-Partei. Die selbe Alice Weidel spricht mittlerweile von den Infektionsschutzmaßnahmen als „Anzeichen einer Diktatur“. Paradox, könnte man meinen – eigentlich aber auch nur die typische Anti-Regierungs-Politik einer populistischen Partei.

Die neue deutsche Staatsgläubigkeit

Gleichsam entdeckten die Deutschen in der Krise eine neue Staatsgläubigkeit. Die Umfragewerte der Unionsparteien kletterten pünktlich mit Beginn der Pandemie im Herbst der Merkel’schen Amtszeit in nie geahnte Höhen. Die ersten Maßnahmen genossen hohe Zustimmungswerte, Kritik gab es wenig. Vielen schien gar nicht bewusst zu sein, dass die drastischen Einschränkungen ihrer Grundrechte nicht etwa durch die direkt von ihnen gewählten Parlamente beschlossen, sondern in den Kabinetten und Ministerien exekutiv erlassen wurden. Man sollte meinen, der Wegfall der parlamentarischen Kontrolle würde für erhöhte Wachsamkeit der Bevölkerung sorgen – aber falsch gedacht: Der bayrische Ministerpräsident Söder, seines Zeichens der personifizierte Exekutivfetischismus, wird mit atemberaubenden Zustimmungswerten als nächster Bundeskanzler gehandelt. Sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Armin Laschet hingegen, der – ganz Jurist – stets auf den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ergebenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwies, Maßnahmen hinterfragte und daher zurecht früh Lockerungen vorantrieb, wurde hingegen in den Zustimmungswerten und der öffentlichen Debatte regelrecht abgestraft.

All dies macht es in der Krise für Liberale schwer, Maß und Verhältnismäßigkeit der pandemiebedingten Einschränkungen zu hinterfragen, ohne den Populisten, Extremisten und Verschwörungstheoretikern in die Falle zu gehen. Problematisch hierbei ist insbesondere, dass sachlich vorgetragene, ausdifferenzierte Kritik weder medial noch in der breiten Öffentlichkeit ein entsprechendes Echo findet. Die Extreme – Verschwörungstheoretiker und Populisten auf der einen und Exekutivfetischisten auf der anderen Seite – erzeugen logischerweise die größere Aufmerksamkeit. Als beispielsweise die Fraktion der Freien Demokraten im Juni 2020 im Deutschen Bundestag die Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite beantragte, fand dies nur geringe Resonanz, obwohl der Antrag insbesondere die wichtige parlamentarische Beteiligung an vielen Maßnahmen, die durch die Feststellung der epidemischen Lage rein exekutiv angeordnet werden konnten, wieder in Kraft gesetzt hätte.

Die liberale Perspektive

Wichtig bleibt dennoch: Die Einschränkung von Freiheitsrechten muss gerade von Liberalen jeden Tag aufs Neue hinterfragt werden. Gerade diejenigen, denen die Bürgerrechte nicht als Vorwand für ihre verschwörungsideologische oder populistische Agenda dienen, sind hier gefragt. Nicht ohne Grund wurden bereits mehrfach Allgemeinverfügungen und Eindämmungsverordnungen von den Verwaltungsgerichten wegen unverhältnismäßiger Einschränkungen der Grundrechte kassiert. Sachliche Kritik an den getroffenen Maßnahmen ist wichtig und richtig – nur so funktioniert unsere Demokratie und daran ist auch nichts populistisch oder verschwörungstheoretisch. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle brachte dies in der WELT schön auf den Punkt: „Es ist weder unanständig noch unverantwortlich, wenn diese Menschen ihre Freiheiten wieder benutzen wollen. Warum sie dies nicht in gewohntem Maße tun können, bedarf der Begründung – nicht aber ihr Wunsch nach Freiheit.

Problematisch wird es dann, wenn man sich die falschen Partner sucht. Wer aus berechtigter Sorge – sei es um den Arbeitsplatz, die Fernbeziehung, das Sozialleben oder das eigene Unternehmen – Schulter an Schulter mit Extremisten jedweder Couleur aufmarschiert oder ihren Stil übernimmt, verspielt jede Glaubwürdigkeit. Diesen Menschen, die ironischerweise gerade in Ausübung ihrer Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit für „Freiheit“ demonstrieren, sind in Wahrheit nicht Freiheitsrechte wichtig, sondern ihre gefährlichen Ideologien, die in der Umsetzung in aller Regel zu weniger Freiheit führen. Wem daran gelegen ist, dass seine kritische Position wahr- und vor allem ernstgenommen wird, der muss sich abgrenzen – von den Staatsgläubigen wie von den Spinnern.

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