Für 86 Cent nach Karlsruhe

Die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags und die daraus folgende Koalitionskrise in Sachsen-Anhalt schlagen seit Wochen hohe Wellen. Nun haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Karlsruhe mit dem Rundfunkbeitrag befassen wird.

Es mag für einige wie das Ende des seit Wochen schwelenden Konflikts rund um die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags geklungen haben: Die sachsen-anhaltinische Staatskanzlei ließ am 8. Dezember verlauten, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Gesetzentwurf zur Zustimmung zu der Beitragserhöhung auf 18,36 € zum 1. Januar 2021 zurückgezogen habe. Doch es ist erst der Beginn des zweiten Akts: Nur wenige Stunden später kündigten ARD, ZDF und Deutschlandradio an, die Gebührenerhöhung per Verfassungsbeschwerde durchsetzen zu wollen. Haseloff kommt also vorerst um einen möglichen Koalitionsbruch nebst Vorwürfen der angeblichen Zusammenarbeit mit der AfD herum – beendet ist das Kapitel damit aber noch lange nicht.

Kein Neuland für Karlsruhe

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Karlsruher Verfassungsrichter mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigen müssen. Während in den 1980er Jahren – heute völlig undenkbar – über die Zulässigkeit eines privaten Rundfunks neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten gestritten wurde,1 entwickelten sich die Rundfunkgebühren bzw. seit 2013 Rundfunkbeiträge zum häufigsten Streitgegenstand.2

Die für den aktuellen Fall wohl richtungsweisendste Entscheidung war das Urteil vom 11. September 2007, mit dem das Bundesverfassungsgericht den zwischen den Ländern geschlossenen achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag für verfassungswidrig erklärte.3 Begründet wurde dies damit, dass unzulässigerweise von der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) abgewichen worden sei. Hierbei legte das Bundesverfassungsgericht die Kriterien fest, unter denen eine solche Abweichung zulässig ist.

Die KEF nimmt eine zentrale Rolle im dreistufigen Festlegungsverfahren für den Rundfunkbeitrag ein: Nachdem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihren Finanzbedarf bei der KEF angemeldet haben (1. Stufe) prüft sie diesen und spricht am Ende eine Empfehlung aus (2. Stufe). Danach sind die Landesparlamente an der Reihe, die den Beitrag durch Zustimmungsgesetze zu entsprechenden Änderungsstaatsverträgen festsetzen (3. Stufe). Dabei sind, wie oben angemerkt, Abweichungen von der KEF-Empfehlung nur unter engen Voraussetzungen möglich. Diese Rolle der KEF soll die erforderliche Staatsferne des Rundfunks gewährleisten.

Streitwert: 1,5 Milliarden Euro

Konkret berechnete die KEF einen zusätzlichen durch Rundfunkbeiträge zu deckenden Finanzbedarf der Rundfunkanstalten von 1,5 Mrd. € für die Jahre 2021-2024 – so kamen die bisher geplanten 86 Cent zusammen.4 Indem Sachsen-Anhalt dem entsprechenden Änderungsstaatsvertrag der Länder nicht mehr rechtzeitig vor dem 1. Januar 2021 zustimmen wird, weichen die Länder also von dieser Empfehlung ab. In Karlsruhe wird es daher vor allem um die Frage gehen, ob dies – anders als 2007 – zulässig ist.

Hierbei wird es entscheidend darauf ankommen, wie die Länder die Nichtumsetzung der von der KEF berechneten Beitragserhöhung begründen. Diese Begründung darf – dies sei vorweggenommen – unter keinen Umständen medienpolitischer Natur sein. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden vollkommen zurecht massives Verschlankungspotential und ein teilweise unübersehbarer politischer Bias vorgeworfen. Dennoch dürfen dem entgegenwirkende und andere medienpolitische Maßnahmen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Rolle bei der Beitragsgestaltung spielen.5 Als mögliche Abweichungsgründe nennen die Karlsruher Richter einerseits „außerhalb des Rundfunks liegende Faktoren wie die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkommensentwicklung oder sonstige Abgabenbelastungen der Bürger […], soweit sie sich auf die finanzielle Belastung der Gebührenzahler auswirken oder deren Zugang zur Information durch Rundfunk gefährden“6 – und andererseits offensichtliche Fehler der KEF bei der Berechnung des Finanzbedarfs oder eine wesentliche Änderung der bei dessen Berechnung zugrunde gelegten Verhältnisse.7

COVID schlägt KEF?

Eine entscheidende Rolle im anstehenden Verfahren könnte nun der COVID-19-Pandemie bzw. der durch sie verursachten Wirtschaftskrise zukommen. Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass der aktuelle Bericht der KEF bereits am 20. Februar 2020 an die Rundfunkkommission der Länder unter Vorsitz der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) übergeben wurde – also vor Ausbruch der Pandemie und ihrer Folgen in Deutschland. Diese kann dementsprechend nicht berücksichtigt worden sein. Eine Änderung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten ergibt sich daraus zwar nicht – wohl aber eine möglicherweise unangemessene (Mehr-)Belastung der Gebührenzahler aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage.

Die nackten Zahlen machen dies bereits deutlich: Das BIP sank im Vergleich zu 2019 im zweiten Quartal 2020 um 11,7 % und im dritten um 4,1 %. Die Arbeitslosenquote lag im November 2020 1,1 % über der des Vorjahres. Der Reallohnindex sank im Vorjahresvergleich im zweiten Quartal 2020 um 4,7 %. Zudem wurden und werden zur Bewältigung der Krise massiv neue Staatsschulden aufgenommen, sodass auch eine höhere Fiskalbelastung der Bürger im Bereich des Möglichen, wenn nicht sogar des Wahrscheinlichen liegt. Insofern erscheint es gut vertretbar, die Nichterhöhung mit den wirtschaftlichen Pandemiefolgen zu begründen, die viele Menschen hart getroffen haben und noch treffen werden.

Prognosen sind unseriös

Letztendlich wird der Verfahrensausgang zu einem nicht unerheblichen Teil von der Stichhaltigkeit der Begründung durch die Länder, insbesondere Sachsen-Anhalt, abhängen. Hier eine Vorhersage treffen zu wollen wäre in der aktuellen, nie dagewesenen Pandemiesituation hochgradig unseriös – nicht zuletzt, weil die Auslegung der Rundfunkfreiheit innerhalb der Rechtswissenschaft gerade in den Details ohnehin sehr umstritten ist. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht die aktuell außergewöhnliche Belastung der Beitragszahler in seiner Entscheidung zu würdigen weiß.

  1. BVerfG, 57, 295 (FRAG im Saarland); BVerfGE 73, 118 (Landesrundfunkgesetz in Niedersachsen).[]
  2. BVerfGE 90, 60 (Staatsfreie Gebührenfestsetzung); BVerfGE 119, 181 (Abweichung von der KEF-Gebührenempfehlung aus medienpolitischen Gründen); BVerfGE 149, 222 (Generelle Verfassungsmäßigkeit des geräteunabhängigen Rundfunkbeitrags).[]
  3. BVerfGE 119, 181.[]
  4. Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, 22. Bericht, Februar 2020, S. 6 f., abrufbar unter: https://kef-online.de/fileadmin/KEF/Dateien/Berichte/22._Bericht.pdf.[]
  5. BVerfGE 119, 181 Rn. 128.[]
  6. a.a.O., Rn. 152.[]
  7. a.a.O., Rn. 154.[]

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