IfSG-Novelle: Gedankenlos, planlos, wirkungslos

Der Bundestag wird heute eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschließen, die die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie auf eine präzisere Rechtsgrundlage stellen soll. Der Entwurf der Regierungsfraktionen ist jedoch handwerklich schlecht gemacht und sorgt zudem weder für die geforderte Parlamentsbeteiligung noch für Rechtssicherheit.

Nach Monaten des Hinhaltens steht heute im Deutschen Bundestag gleich eine ganze Palette von Gesetzentwürfen und Entschließungsanträgen aller Fraktionen zur Abstimmung.1 Im Mittelpunkt steht jedoch der Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD. Dieser sieht insbesondere mit dem neuen § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine konkretisierte Ermächtigungsgrundlage für die allgemeinen Eindämmungsmaßnahmen vor. Anders als bisher sind beispielsweise Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. Der Gesetzentwurf ist jedoch heftig umstritten und wurde im Vorfeld massiv kritisiert.

Eines sei hier im Vorfeld gesagt: Nein, es handelt sich bei der IfSG-Novelle nicht um ein “Ermächtigungsgesetz” oder die Abschaffung der Demokratie in Deutschland. Solche gefährlichen Behauptungen sind an den Haaren herbeigezogen und darum soll es hier nicht gehen.

Amateure am Werk?

Zunächst legten die Regierungsfraktionen einen Entwurf des § 28a IfSG vor, der von Verfassungsrechtlern nahezu einhellig in der Luft zerrissen wurde. Er sei zu unbestimmt, die Ausgestaltung als bloße Regelbeispielsnorm2 werde den massiven Grundrechtseingriffen in verfassungswidriger Weise nicht gerecht; außerdem bedürfe es einer Befristung sowie eines Zustimmungsvorbehaltes des Bundestages und zu allem Überfluss fand man noch orthographische Fehler.3

Die Große Koalition versuchte sich daraufhin an einer Verbesserung der geplanten Norm, wobei man jedoch die vorgenannten Kritikpunkte kaum ausräumen konnte. Insbesondere blieb man bei der Ausgestaltung der Norm als Regelbeispielskatalog zu der generellen Verordnungsermächtigung des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG und sah keinen Zustimmungsvorbehalt vor.

Rechtsunsicherheiten bleiben

Ein maßgebliches Ziel des Gesetzes ist es, eine erhöhte Rechtssicherheit für die Maßnahmen herzustellen. Dieses wird jedoch bereits durch die Ausgestaltung des § 28a IfSG als Regelbeispielskatalog verfehlt. Sollten Gerichte zu dem – wohlgemerkt nicht fernliegenden und durchaus vertretbaren – Ergebnis kommen, dass die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG den Anforderungen des grundgesetzlichen Parlamentsvorbehaltes (Art. 80 Abs. 1 S. 1, 2 GG) nicht mehr genüge, würde die neue Norm kein Stück weiterhelfen. Die Maßnahmen werden nämlich weiterhin auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt, während der neue Katalog des § 28a Abs. 1 IfSG lediglich eine Konkretisierung dessen vornimmt. Letztendlich handelt es sich also um ein Gesetz, das die Rechtssicherheit kein bisschen erhöht.

Parlamentsbeteiligung? Fehlanzeige

Auch die seit Monaten geforderte stärkere Beteiligung der Parlamente bleibt aus. Hierzu verweist der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion Luczak darauf, dass es sich um Länderverordnungen handle. Dies ist zwar im Grundsatz korrekt, jedoch wäre es ebenso möglich, ein Beteiligungserfordernis für die Landtage in den Entwurf aufzunehmen. Letztendlich wird sich im Hinblick auf die Parlamentsbeteiligung keine Veränderung zum bisherigen Vorgehen ergeben. Diese Praxis nach so langer Zeit noch immer fortzusetzen zeugt von einer gefährlichen Ignoranz gegenüber der parlamentarischen Demokratie. Sie ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die wegen der Maßnahmen von “Corona-Diktatur” und “Ermächtigungsgesetz” schwadronieren.

Die Fraktion der Freien Demokraten wird daher, wie auch Linksfraktion und AfD, wohl gegen den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen stimmen. Verfassungsrechtliche Bedenken, handwerkliche Fehler und der Fakt, dass dieser Entwurf schlicht nichts an der minimalen Parlamentsbeteiligung ändert, sind Grund genug hierfür. Dieses Stimmverhalten stellt allerdings keinesfalls eine “Blockade” gegen die Bekämpfung von COVID-19 dar. Gerade nach über neun Monaten in der Pandemie ist es notwendig, dem Geiste unseres Grundgesetzes zu entsprechen und parlamentarisch legitimiert gegen das Virus vorzugehen. Trotz der aktuell hohen Infektionszahlen ist schlicht keine so dynamische und unvorhersehbare Pandemieentwicklung vorhanden, dass die Beteiligung der Parlamente bei der Bekämpfung nicht möglich wäre. Dass eine solche Beteiligung sowohl Qualität als auch Akzeptanz getroffener Regelungen erhöhen würde, steht außer Frage.

Die AfD ist keine Alternative

Der Versuch von Kritikern, die FDP aufgrund eines solchen Stimmverhaltens in die Nähe der AfD oder von Querdenkern und Aluhüten zu bringen, ist daher vollkommen irrig und blanker Unsinn. Zwar wird die AfD voraussichtlich auch gegen den Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen stimmen, allerdings aus völlig anderen Beweggründen. Zwar leugnet “nur” ein Teil der AfD die Existenz der Pandemie, jedoch ist man sich darüber einig, dass von ihr keine Gefahren ausgingen. Die AfD stellt sich aus populistischen Motiven gegen jegliche Maßnahmen und damit auch diesen Entwurf. Das unterscheidet ihre Beweggründe grundlegend von denen der FDP, die den Entwurf aufgrund seiner inhaltlichen Fehler ablehnt und nicht wegen seiner bloßen Existenz.

Fazit

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist letztendlich nichts als ein Feigenblatt, das Parlamentsbeteiligung und Rechtssicherheit vorgaukeln soll. Er wird an der bestehenden Praxis und den Rechtsunsicherheiten nichts ändern. Die Bundesregierung begibt sich hierdurch aufs Glatteis und treibt so möglicherweise noch mehr Menschen in die Fänge der Verschwörungstheoretiker. Umso wichtiger ist es, sich als Liberale für die parlamentarische Demokratie, die stetige Einhaltung des Grundgesetzes und die Sicherung der Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen stark zu machen.

  1. Ein Überblick über alle eingebrachten Anträge befindet sich hier: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw47-de-bevoelkerungsschutz-804202.[]
  2. Regelbeispiele konkretisieren den Normtext einer Generalklausel (hier § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG), indem sie lebensnahe Beispiele für deren Anwendung aufzeigen.[]
  3. Suliak, “Verfassungswidrig und voller handwerklicher Fehler”, Legal Tribune Online vom 12.11.2020, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-massnahmen-28a-ifsg-rechtssicherheit-gerichte-verfassungswidrig-unbestimmt-anhoerung-bundestag/.[]

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