Eine kleine Geschichte der Freiheit

Das relative Ausmaß der positiven Freiheit, der “Freiheit zu Etwas”, hat allein im letzten Jahrhundert, im Vergleich zur negativen Freiheit, der “Freiheit von Etwas”, massiv zugenommen. Ein Abriss der Theorien der Freiheit unserer Geschichte:

Am 01.08.2020 war die Welt noch fast in Ordnung. Zumindest insofern, dass ich das Privileg hatte, mit einigen Kollegen und Kolleginnen im Restaurant Transit am Hackeschen Markt zu sitzen. Vor den sperrangelweit geöffneten Terrassentüren marschierten “Pandemiebeender” aller möglichen Gesinnungen entlang – eine halbe Million nach eigenen Angaben, 17.000 nach denen der Polizei. In der bunten Masse aus, Reichs-, Deutschland-, UdSSR- und merkwürdigerweise Pride-Flaggen, waren alle in einem Mantra geeint:

Freiheit.

Das wortwörtliche Geschrei nach “Freiheit”, ist jedoch vermutlich die einzige Konstante zwischen Parolen, wie “Wir sind das Volk” (Nein.) und “Wir sind die zweite Welle” (Ja.).

Als unglücklich und unglücklicherweise  beistehender Freier Demokrat, war es zum im Boden versinken. Leider haben wir uns heute, ein halbes Jahr später, gerade zu an diese unliebsamen Spektakel gewöhnt – auch wenn inzwischen vielleicht der selbstreflektierte Spruch “Wir sind die 3. Welle” wegfällt.

Ambivalenz

Bereits seit geraumer Zeit, bereitet mir dieser uralte und ohne Frage wichtige Begriff der Freiheit, den ich so hoch schätze und den meine Partei im Namen trägt, Kopfschmerzen. Auf die Frage des Mannheimer Morgen am 06.08. hin, ob die “Freiheit”-Rufe auf der Berliner Corona-Demo im Sinne der Freien Demokraten seien, antwortete Christian Lindner vehement: Freiheit hieße Verantwortung, er appelliere zur Umsichtigkeit.

Eine recht diplomatische Antwort, die heute nach Dauerlockdowns und Mutanten sicher noch deutlicher ausfiele – klar ist jedoch, dass das Verständnis von Freiheit in der Bevölkerung offensichtlich erhebliche Unterschiede aufweist. Ebenso klar ist, dass die Partei, die seit jeher Freiheit verspricht, vor allem im ersten halben Jahr der Pandemie nicht gut weg kam und dass ein bestimmtes Publikum, das etwas mit ihr anzufangen glaubt, eine unattraktive Wählerschaft darstellt. Es zeigt sich: Auffassungen des Begriffs der Freiheit sind unterschiedlich, die Bedeutung im Mainstream dynamisch und ihr Stellenwert in Deutschland scheinbar unstetig.

Das relative Ausmaß der positiven Freiheit, der “Freiheit zu Etwas”, hat allein im letzten Jahrhundert, im Vergleich zur negativen Freiheit, der “Freiheit von Etwas”, massiv zugenommen. Als ganz einfache Beispiele könnten die Freiheit (Aller) zu wählen, sowie die Freiheit von Unterdrückung gelten. All die positive Freiheit, die uns unter anderem in Deutschland gewährt wird, ist ein Nebenprodukt modernen Wohlstands, von Innovation, Bildung, progressiver Politik und, ja, auch des Kapitalismus. Ein Abriss der Theorien der Freiheit unserer Geschichte:

Stark angefangen…

Trotz des etwas widersprüchlichen Umstands der Sklavenhaltung wurden Konzepte der Freiheit bereits in der Antike fleißig diskutiert: In der Attischen Demokratie eher als philosophisches Konstrukt der Freiheit des Einzelnen von äußeren Einflüssen und Zwang. Dennoch war man mit der zumindest im Innenverhältnis relativ egalitären Einstellung seiner Zeit Jahrtausende vorraus – was beispielsweise allen „Wehrfähigen“ in der Volksversammlung (Ekklesia) gleiche Redezeit einräumte. Das Freiheits- und Demokratieverständnis in der Praxis begann und endete mit der Einstellung, dass Herkunft politisch kein Gewicht haben sollten. Beweise dafür, dass Menschenrechte als Basis der Freiheit diskutiert worden sein könnten, gibt es bis heute aber keine.

Im Volk Israel hingegen galt eine gewisse “Freiheit” bereits als politisches “Grundrecht”, in Verbindung mit einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber ungezügelter Machtkonzentration. Eine Einstellung geprägt durch die Befreiung aus jahrhundertelanger Sklaverei in Ägypten. Die Befreiung des Volkes Israel wie dargelegt im Buch Exodus der Bibel hat zwar in Reinform keine wirkliche historische Legitimation, jedoch prägte die Überlieferung, völlig unabhängig von historischen Fakten, eindeutig das Freiheitsverständnis Israels – und das bis heute. Doch auch hier ließ man sich nicht vom Halten von Sklaven abhalten.

…und stark nachgelassen

Das junge Christentum hingegen übernahm die Diskussion seiner jüdischen Wurzeln, aber behandelte sie stets im religiösen Sinne, dominiert von stoischen Konzepten der “inneren Freiheit” -: sei es die Freiheit von weltlichem Zwang, Gesetz oder Sünde. Doch das Konzept der positiven Freiheit war noch lange nicht in Sicht. Auch heute nehmen wir Vorsätze der Kirche vornehmlich als restriktiv war – das Alte Testament war eher von kollektiven Befreiungserfahrungen – wie eben der Befreiung des Volkes Israel – anstatt individueller Freiheit geprägt. Das neue Testament hingegen legt Jesus als Grundstein der Freiheit dar,. Bbegründet damit, dass er die Menschen lehrte, religiöse und ethische Vorschriften nicht all zu penibel, sondern eher “den Kern des Gesetzes” zu sehen.

Das Mittelalter war geprägt von schockierenden sozialen Zuständen, im Schatten von Sklaverei, Leibeigenschaft und auch sonst erschreckenden hierarchischen Verhältnissen. Heute unvorstellbar, doch die progressivste populäre Diskussion dieser Zeit war: Ist die Freiheit von Sklaverei der Freiheit, Sklaven halten zu dürfen, vorzuziehen? Aus heutiger Sicht die bloße Parodie einer Studie über negative und positive Freiheit. Dennoch waren diese Zeiten nicht völlig frei von fortschrittlichen Ideen. Eike von Repgow schrieb schon im späten 12. Jahrhundert:

Ich kann es auch mit meinem Verstande nicht für Wahrheit halten, dass jemand das Eigentum eines anderen Menschen sein soll.

Philosophen wie Scotus und Roger Bacon traten bereits im 13. Jahrhundert für eine Trennung von Religion und Vernunft ein, was dem Humanismus der Renaissaince den Weg ebnen sollte.

Back to the future

In den Republiken der Renaissance, allen voran Florenz, rückte der Mensch als Individuum zunehmend aus dem Blick der Kirche heraus – der freie Mensch, der freie Bürger, ohne Gottes allgegenwärtigen Blick im Nacken. Dieses Ausrücken aus den restriktiven Gesetzmäßigkeiten der Religion erlaubte Wissenschaftlern, Künstlern und Philosophen, sowie deren Mäzenen, Vorstöße in ihren jeweiligen Gebieten zu wagen und das Gedankengut unserer antiken Vorväter neu zu entdecken. Der Renaissance-Humanismus mit seiner zunehmenden Abkehr von der Scholastik – der im Mittelalter prävalenten Methode wissenschaftlich zu arbeiten – war ein großer Befreiungsschlag der Denker der Renaissance. Anstatt vornehmlich anhand bestehender Thesen und Texte (vor allem theologischer Natur) zu arbeiten und zu argumentieren, begann man, neues Wissen zu sammeln. Zwar rührt der Name der Renaissance von der „Wiederbelebung“ antiker Ideen – doch trotzdem war sie ein erster Schritt zur Befreiung des Individuums aus den Dogmen der Vergangenheit.

Die Geister der Aufklärung hingegen warfen bestehende illiberale Dogmen von sich – und das nicht nur in Form knackiger Zitate!

Ich bin nicht Eurer Meinung, aber ich werde darum kämpfen, dass Ihr Eure Meinung ausdrücken könnt.

Voltaire

Postuliert wurden Säkularisierung, Grundrechte, Gewaltenteilung und Vertretung der Meinungen des Individuums durch Wahl und Meinungsfreiheit. Freiheitliches Denken wurde so politisch wie nie zuvor, denn vor allem durch den zunehmenden Aufstieg des Bürgertums tangierte die Thematik erstmalig breite Bevölkerungsschichten.

Die Dämmerung der Denker der Freiheit

Immanuel Kants Freiheitsbegriff als Lanzenspitze der Aufklärung bot die Basis für Werke vieler Denker der Freiheit nach ihm, wie Hegel, Max Weber, Hannah Arendt und vielen weiteren – auch, wenn diese Werke erheblich unterschiedliche Ansichten aufwiesen. Laut Kant sei Freiheit nur durch Vernunft und ihre Umsetzung möglich. Vernunftbegabte könnten sie nutzen, um das Gute zu erkennen und ihr Verhalten daran pflichtgemäß auszurichten. Dieser sogenannte kategorische Imperativ bildet in Kants Philosophie die Basis ethischen Handelns. Das bekannteste Zitat: “Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde”.

Im 19. und 20. Jahrhundert fächerten die Interpretationen, Verknüpfungen und Definitionen der Freiheit unfassbar weit auf. Auch Hegel behandelte die Freiheit unter strenger Trennung der inneren und äußeren Perspektive – was ihre Ambivalenz nur weiter betont. So beschreibt sein Konzept der inneren Freiheit, sich über unsere Natur, nämlich eigene deterministische Verhaltensweisen klar zu werden – ganz im Sinne Kants, auch wenn man sich ganz sicher nicht in allem einig war. Etwa nach dem Motto, auf diesem Wege sei ein genereller innerer Determinismus, bedingt durch den Naturalismus, dem wir alle unterliegen, also eine generelle innere Unfreiheit des Menschen überhaupt erst die Voraussetzung, sich aus eben jener zu befreien und einen freien Geist zu erlangen. Im Gegensatz zu Kant nimmt Hegel das Individuum deutlich mehr in die Verantwortung. Frei könne nur sein, wer sich nicht nur in Worten, sondern auch in ehrlichen Taten von seiner Natur emanzipiert. 1

Freiheit wird konkret

Einige Jahrzehnte später, 1859, formulierte John Stuart Mill das Mill-Limit, welches im angelsächsischen Sprachraum bis heute den Grundsatz des Liberalismus bildet:

dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.

Und ja – so muss auch der Liberalismus weitreichende Corona-Maßnahmen billigen können. Auch, wenn dieser Grundsatz ausschließlich das „ob“ klärt und jegliches „wie“ zur Diskussion offen lässt.

Hayek und Dahrendorf kamen den hier relevanten, prägnanten Definitionen nahe. Zum einen ist nach Hayek, die Freiheit ein “Zustand, in dem ein Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer unterworfen ist”. Dahrendorf war noch eher Sozialwissenschaftler als Ökonom. Neben der Freiheit von Zwang sei vor allem das Maß, in dem Menschen freie Entscheidungen treffen könnten, ausschlaggebend für die persönliche Freiheit – Freiheit durch sogenannte Lebenschancen, die jedem Menschen gewährt werden sollten.

Verfassung im Fokus der Freiheit

In der vielleicht modernsten Auffassung der Freiheit dachte Dahrendorf stets auch das Soziale mit, denn in einer ungerechten Gesellschaft kann keine allgemeine Freiheit herrschen. Damit seien unvermeidliche Einschränkungen der Freiheit sogar Bereicherungen. Entsprechend brauche wohlverstandene Freiheit eine Verfassung, um dem Recht, das dem Wohle und dem Schutz der Freiheit aller diene, Geltung zu verschaffen. Alleine um der impulsgesteuerten und entropischen Natur des Menschen Einhalt zu gebieten.

Der Rahmen einer Verfassung diene entsprechend einem freien Leben, in einer modernen Welt unbegrenzter Möglichkeiten – auf Basis eigenständigen, zielbewussten Denkens – frei von äußerem Zwang. Es klingt auf jeden Fall traumhaft.

Vielleicht nicht. Wenige große Denker der Freiheit und des Liberalismus versprachen “Glück” als direkte Konsequenz ihrer Überlegungen; wollte man doch eher das Streben nach Glück ermöglichen. Das mag vielen Deutschen vielleicht zu inkonkret sein. Denn hierzulande hat das Streben nach Freiheit weitestgehend seine Dynamik und Wertschätzung verloren. Warum nehmen viele Deutsche Anstoß am Begriff der Freiheit? Wie kam es dazu? Und wie werden wir Freiheit nach der Corona-Krise interpretieren?

  1. Wir werden hier nicht dem Anspruch einer komplett greifbaren Erklärung von Hegels Freiheitsdefinition nachkommen können.[]

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