Kurzfristige Lösungen sind keine Lösung

Ob Digitalpakt, Mietendeckel, Umverteilung oder Enteignung – schnelle, unbedachte Lösungen sind schlimmer als die meisten denken mögen. Wir brauchen gezieltere und teilweise langfristigere Lösungen, um wirklich etwas zu bewirken.

Die Abgabenlast die wir in Deutschland, im Vergleich zu anderen OECD Ländern, tragen ist enorm.1 Erstaunlicherweise sind viele Deutsche dennoch bereit gleichbleibende oder sogar höhere Steuern zu zahlen. Auf die Frage “warum?” fällt oft ein bestimmter Begriff: „Umverteilung“. In diesem Fall von oben nach unten.

Einfach mal umverteilen

Der Grundsatz, die gesamte Gesellschaft an bestehendem und entstehendem Wohlstand teilhaben zu lassen, ist absolut richtig. Trotzdem ist die allgemein geläufige Interpretation von „Umverteilung“ alles andere als unproblematisch. Zum einen unterliegen Umverteilungsenthusiasten häufig dem Irrtum, die Welt wäre ein einfaches Nullsummenspiel2: was der eine mehr hat, muss einem anderen fehlen.

Doch so simpel, dass es einen globalen Kuchen gibt von dem sich der Westen jährlich 2/3 gönnt, ist heute einfach nicht mehr der Fall ist. In einer Subsistenzwirtschaft hatte man durchaus von den wenigen Früchten des Landes zu Leben und fand generell wenig Chance sich zu spezialisierung. Seit Lebensstandards aber steigen und und die Menschheit immer neue Wege findet Mehrwert zu schaffen, ist dieses Problem eines der fernen Vergangenheit.

Die fehlende Einsicht dieses Umstands führt dazu, dass im allgemeinen Maßnahmen präferiert werden, die an bestimmter Stelle spürbar etwas hinfort nehmen und hoffentlich an anderer Instant Gratification liefern, wie Michael zuletzt schrieb. Anstatt an anderer Stelle  zu entlasten oder auf zusätzliche Wertschöpfung zu setzen, soll der Staat sich als Robin Hood erweisen: Den Reicheren nehmen um es den Ärmeren zukommen zu lassen, völlig ungeachtet des Reibungsverlustet durch diesen enormen Bürokratischen Akt. Es gilt: Lieber Steuern rauf für “Reiche”, statt Steuern runter für weniger gut Betuchte.

Sowieso sollen Maßnahmen möglichst bald – am besten jetzt – ergriffen werden. So kurzsichtig es auch sein mag. Das gilt jedenfalls dann, sofern „Umverteilung“ als Endziel politischen Wirkens und Allheilmittel gesehen wird, nach dem Motto: „Solange wir von oben nach unten verteilen, wird alles gut“.

Dieses Sentiment entsteht oft aus einem, teilweise berechtigen, Ungerechtigkeitsgefühl, denn:
Das Gefälle von Lebens- und Bildungsstandards ist oft schwindelerregend – und ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr als Entwicklungstreiber zu rechtfertigen3. Einer der gemeinsamen Nenner ist dabei immer Geld.  Entsprechend ist die naive Annahme, man könne Person A überschüssiges Vermögen einfach abnehmen und Person B zuschustern, nachvollziehbar, aber dennoch töricht. Konfuzius‘ Worte „Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben“ sind nicht ohne Grund seit 2500 Jahren ein Dauerbrenner. Zwar ist es möglich, dass der ein oder andere findige Geschäftsmann sich vom Fisch zum Ferrari handelt, der breiten Masse ist damit aber sicher nicht geholfen.

Trotzdem wirken kurzfristige und große Unterstützung und “Umverteilung”, auf große Teile der Bevölkerung attraktiver als langfristige Pläne: Lieber größere Notfallkredite statt Steuerrückzahlungen in der Krise. Lieber jetzt einen Mietendeckel, statt einer ganzen Stange komplexer Maßnahmen. Lieber jetzt mehr Geld für die Schulen, statt einer Bildungs(föderalismus)reform. Dass eben solche Kurzsichtigkeit von Wissenschaft und Geschichte für wirkungslos oder sogar destruktiv erklärt wird 4, spielt oft keine Rolle. Doch dieses Vorgehen erweist sich nicht nur in seinen spezifischen Feldern als ineffizient, es missachtet auch die zutiefst träge und zyklische Natur der Politik.

Politischer Selbstzweck

Denn mit jeder Legislatur gibt es eine wiederkehrende Agenda an Klima-, Steuer-, Verkehrs-, Bildungspolitik etc. abzuarbeiten. Völlig unabhängig davon, ob man zu dem Thema eine ernstzunehmende Position hat. Die Liste ist jedenfalls lang. Sofern keine Pandemie dazwischen grätscht, wird diese Agenda Punkt für Punkt abgeklappert. Das setzt sowohl in der Politik thematischen Fokus als auch in der Bevölkerung – Ein bis zwei Themen werden in hohem Hause diskutiert, dann in den Medien, dann in der Bevölkerung.

Sobald ein Parlament einen Beschluss gefällt hat, entschwindet das Thema bald wieder dem kollektiven Bewusstsein, so kontrovers es auch gewesen sein mag. Diese gesamtgesellschaftliche Amnesie hält entweder, bis ein Beschluss gekippt wird, oder die Agenda soweit abgehakt ist, dass das Thema wieder an der Reihe ist. Mit jedem Eingriff wird der Zähler für erneute politische Maßnahmen bezüglich dieser Thematik also wieder auf null gesetzt.

Entsprechend müssen politische Maßnahmen stets gut durchdacht und langfristig angelegt sein. Zumindest dann, wenn man wirklich systematische Probleme beheben möchte, anstatt nur damit beeindrucken zu wollen, alle seine Haken gesetzt zu haben. Sollte beispielsweise ein dickes Finanzpaket zur Unterstützung aller deutschen Schulen bereitgestellt werden, hätten einige Schulen sicher Pläne für mögliche und auch teils sinnvolle Investitionen. Ohne spezifische Vorgaben des Bundes oder der Länder welche Modernisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen stattfinden sollten, würde einfach querbeet investiert werden. Alles auf die Gefahr hin, mit der nächsten Inangriffnahme unserer Schulen- und unseres Bildungssystems obsolet zu werden. Sei es nun Anschaffung neuer Bücher, bevor allgemeiner Einführung von E-Books oder Einrichtung eines Online-Schulportals, kurz vor der Einführung einer Lösung auf Landesebene.

Unsere Schulen und unser Schulsystem sind marode und veraltet. Die meisten punktuellen Lösungen passen nicht ins große Ganze und fressen stattdessen Unmengen an Geldern. Alles auf die Gefahr hin keinen Mehrwert für die meisten Schüler, Lehrer und Eltern zu bieten. Ein Paradebeispiel dafür, warum adäquate Investitionsplanung wichtig ist, bot zum Beispiel das Schadow-Gymnasium in Berlin. Dort hatte man nämlich, nach der Anschaffung teurer Smartboards, endlich die Möglichkeit, deren Whiteboards als Leinwand für Overhead Projektoren zu nutzen, anstatt primitiver Wände. Vielleicht hätte man doch vorher in Lehrer, Fortbildungen und Laptops investieren sollen.5
 
Sind die Mieten also gedeckelt, so ein Finanzpaket einmal geschnürt, oder so ein sogenannter „Digitalpakt“ beschlossen, ist das Thema für die Legislatur fürs Erste gegessen. Die nächsten wichtigen Themen rufen. Immerhin wurde mal “etwas” getan. Prüfen, ob man wirklich langfristige Besserung bewirkt hat, kann man später. Wenn man Zeit findet.

Sollten die Maßnahmen nicht greifen, wurden nicht nur Ressourcen verschwendet, quasi „Steuergelder veruntreut“, sondern auch die Chance, bestehende Probleme zu lösen, auf unbekannte Sicht aufgeschoben. Anstatt eines halben Jahres zusätzlicher Planung, erreicht man mit unzureichenden Maßnahmen im Zweifelsfall, dass sich mit Problemlösungen erst wieder in einer bis anderthalb Legislaturperioden befasst wird. Niemand gewinnt damit – Umverteilt wird erst recht nicht.

Fazit

Selbstdarstellung ist wichtig für politische Akteure. Es ist nachvollziehbar, dass niemand sich gerne vorwerfen lässt, in einem Problembereich nichts getan zu haben. Ausnahmen gelten selbstverständlich für Not- und Krisensituationen: Flotte und konsequente Maßnahmen während der COVID-19 Pandemie oder  humanitäre Hilfe für Beirut waren nötig und standen selbstverständlich über politischem und wirtschaftlichem Kalkül. Ebenso wie die beherzte Entscheidung, des nordrhein-westfälischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Joachim Stamp, sofort 1000 Menschen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufzunehmen. Doch auch hier zeigt sich: Die Politik trägt, wenig überraschend, erhebliche Verantwortung – unter anderem die Verantwortung weder sich selbst, noch die Wähler mit monokausalen Erklärungen und Quick Fixes zu täuschen und mehr Schaden anzurichten, als man letztendlich behebt.

  1. https://de.statista.com/infografik/13660/oecd-vergleich-steuern–und-abgaben/#:~:text=In%20Deutschland%20setzen%20sich%20die,bei%2022%2C1%20Prozent%20liegen[]
  2. https://www.youtube.com/watch?v=rvskMHn0sqQ[]
  3. https://www.youtube.com/watch?v=swOpLpZaA78[]
  4. https://keepitliberal.de/wirtschaft/die-sehnsucht-nach-einfachen-loesungen-in-der-wirtschaft/[]
  5. Ich habe selbst von der 8. Klasse bis zum Abitur das Schadow-Gymnasium besucht und durfte diesem Trauerspiel des Öfteren beiwohnen.[]

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