Es ist der Dauerbrenner deutscher Innen-, Sicherheits- und Bürgerrechtspolitik: Die Vorratsdatenspeicherung. Am 9. November 2007 brachte die damalige Große Koalition den feuchten Traum von CDU/CSU erstmals durch den Gesetzgebungsprozess. Zum Zwecke der Prävention von Straftaten sollten anlasslos Daten aus jedweder Form von Kommunikationsmitteln gespeichert werden. Rufnummern, Verbindungszeiten, Internetprotokolle, Ein- und Ausgänge von E-Mails und Etliches mehr. Schon Ende desselben Jahres gingen Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Insgesamt wandten sich 34.939 Beschwerdeführer gegen die Gesetzgebung der Großen Koalition. 2008 schränkte das Bundesverfassungsgericht die damalige Form der Vorratsdatenspeicherung einstweilen massiv ein, bevor es sie im Jahr 2009 für komplett verfassungswidrig erklärte. In den folgenden Jahren wurde die Vorratsdatenspeicherung allerdings keinesfalls irrelevanter. Deutschland wehrte sich in diesen Jahren gegen die Obliegenheit aus einer EU-Richtlinie, eine Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Dies führte bis zu einer Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik. Im Jahr 2015 nahm die Datenspeicherung in Deutschland einen zweiten Anlauf. Der Bundestag verabschiedete dabei den Regierungsentwurf „zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“. Dabei handelte es sich um die Wiedereinführung der schon bekannten und für verfassungswidrig erklärten Datenspeicherung – abgeändert, um möglichst den Hauptargumenten des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 zu entsprechen. Gegen diese neue Form der Datenspeicherung ging erneut eine Vielzahl von Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein, darunter im Jahr 2016 eine Beschwerde der FDP inklusive des Bundesvorsitzenden Lindner, seines Stellvertreters Kubicki und der ehemaligen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Weiterhin sind verwandte Verfahren am Verwaltungsgericht Köln, am Oberverwaltungsgericht Münster und am Bundesverwaltungsgericht anhängig. Eine grundlegende Entscheidung zur Datenspeicherung gibt es allerdings immer noch nicht.
Jedoch kamen jüngst sowohl ein Urteil des EuGH als auch ein Gutachten eines ehemaligen EuGH-Richters zustande, welches den Wind gegen die deutsche Form der Vorratsspeicherung weiter drehen könnte. Der EuGH legt in seinem Urteil dar, dass er eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für nicht vereinbar mit EU-Recht hält. Dies gilt laut EuGH auch dann, wenn die pauschale Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung schwerer Straftaten dient. Nur bei staatsgefährdender Straftaten, beispielsweise zur Abwehr von Terroranschlägen, sei eine pauschale Speicherung mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Auch hier macht der EuGH klar, dass die abstrakte Gefahr einer staatsgefährdenden Straftat nicht ausreicht. Es bedarf hinreichend konkreter Umstände. Weiterhin kommt der Ex-EuGH-Richter Vadapalas in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass eine Speicherung auf unbegrenzte Zeit ebenfalls nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Unter dem Strich sind das keine guten Vorzeichen für eine innerdeutsche juristische Auseinandersetzung mit der aktuellen Form der Datenspeicherung.
Dazu wird es aber eventuell gar nicht kommen. Die jüngsten Einschätzungen auf europäischer Ebene öffnen die Türen für zweierlei Novellen: Einerseits begründen sie noch einmal die Notwendigkeit einer Überwachungsgesamtrechnung. Dieses Vorhaben ist im aktuellen Koalitionsvertrag bereits enthalten. Geschaffen werden soll dabei ein Weg, um die Last der in die bürgerlichen Freiheiten eingreifenden Überwachungsmaßnahmen festzustellen, zu bewerten und im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen zu halten. Außerdem sollte die jüngste Rechtsprechung Anlass dazu sein, die in Deutschland bestehende Form der Datenspeicherung durch ein „Quick-Freeze-System“ zu ersetzten, welches etwa die FDP schon lange fordert. Dabei werden Daten erst auf richterliche Anordnung und damit erst bei vorhandenem Anfangsverdacht temporär aufgezeichnet. Auch dieses Vorhaben ist mittlerweile Teil des Koalitionsvertrags und wird wohl durch das Bundesministerium der Justiz schon heute bearbeitet. Ein solches Verfahren ist nicht nur bürgerrechtskonform, -sichernd und -wahrend, sondern schon heute ersichtlich mit europäischem Recht vereinbar. Die Ampel scheint damit auf bestem Weg, Sicherheit endlich in ein gesundes Verhältnis zu Bürgerrechten zu bringen!
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