Die COVID-19-Pandemie hat es uns schmerzlich vor Augen geführt: Deutschland ist ein digitales Entwicklungsland. Fehlende Infrastruktur, fehlende Konzepte und eine gesunde Portion Skepsis gegen Veränderungen sind keine guten Voraussetzungen dafür, in kurzer Zeit große Fortschritte zu erzielen. Fortschritt heißt nämlich auch immer Veränderung, und mit Veränderungen scheinen sich viele Bundesbürger nur schwer anfreunden zu können. Selbst in meiner vergleichsweisen kurzen beruflichen Karriere habe ich erschreckend oft den Satz „Das haben wir schon immer so gemacht“ gehört – zum „Das haben wir noch nie so gemacht und da könnte ja jeder kommen“ ist es nicht weit. Keine guten Voraussetzungen für Innovation und Fortschritt. Diese Tendenzen zum Bewahren, Konservieren und ja auch zum Stillstand prägen auch unsere Politik, Politiker und damit auch die Gesetzgebung.
Natürlich ist es etwas pauschal und unterkomplex, alle Bundesbürger, Unternehmen und Behörden über einen Kamm zu scheren, aber im Durchschnitt sind diese Beobachtungen und Attribute sehr zutreffend. Und natürlich gibt es innovative Ausnahmen wie BioNtech, Auto1 oder Celonis, aber sie alle sind Ausnahmen, die trotz unser suboptimalen Rahmenbedingungen existieren und nicht wegen ihnen. Man könnte natürlich die bequeme Position einnehmen: Deutschland braucht keine Innovation, wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, wir können uns auf dem bereits Erreichten ausruhen.
Ich halte diese Position nicht nur für bequem, sondern für naiv und gefährlich, denn der Wohlstand Deutschlands basiert immer noch zum Großteil auf der Produktion von hochwertigen Produkten wie Fahrzeugen, Präzisionsbauteilen und vielem mehr. Noch besteht eine ungebrochen große Nachfrage nach diesen Produkten, doch das wird nicht immer der Fall sein. Der internationale Wettbewerb schläft nicht, Asien und Afrika verfügen über den Willen und die Mittel, in diesen Bereichen mit Deutschland zu konkurrieren. Noch sind das Image und das Qualitätsversprechen „Made in Germany“ ausreichend, um einen Vorsprung zu halten. Doch lange wird dieser Vorsprung nicht mehr halten und deshalb ist es unerlässlich, dass Deutschland erstens in seinen Kernbranchen weiterhin innovativ bleibt und zweitens ein neues Standbein für den Wirtschaftsstandort Deutschland etabliert wird.
Beides ist meiner Meinung nach nur möglich, indem man die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzt. Und nein, es reicht nicht, einen analogen Prozess mit digitalen Mitteln abzubilden. Digitalisierung heißt auch, alte Strukturen, Prozesse und Geschäftsmodelle zu überdenken und im Zweifel auch neu zu denken. Nicht nur Kapital ist ein scheues Reh, auch Innovation ist empfindlich für die Rahmenbedingungen, unter denen sie stattfinden soll. Eine überbordende Bürokratie, Fortschrittsskepsis und generell die Angst vor Veränderung erscheinen mir kein idealer Nährboden für Innovation und Fortschritt zu sein.
Deshalb wird es Zeit für eine Innovations- und damit auch eine Digitalisierungsoffensive. Für mehr Eigenverantwortung und Mut zur Veränderung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Newsletter keepitliberal.de – die Woche. Meldet euch für unseren Newsletter an und lest meint! exklusiv schon am Samstag – direkt in eurer Inbox.