Der Konflikt um die umstrittene Justizreform zwischen der EU und dem Mitgliedstaat Polen spitzt sich zu. Nachdem jüngst der EuGH ein Zwangsgeld gegen Polen erlassen hat, urteilte nun auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegen die umstrittene Justizreform.
Schon seit Jahren baut die PiS-Regierung das polnische Justizsystem um. Stück für Stück verabschieden sich dabei rechtsstaatliche Prinzipien zum Vorteil politischer Einflussnahme. Dies stößt zunehmend auf Widerstand durch Organe und Institutionen der EU. Bisher beschäftigte sich vor allem der EuGH mit dem Querulanten Polen. Die EU-Kommission klagte dort bereits mehrfach wegen des Umbaus der polnischen Justiz. Schon vor einigen Monaten urteile der EuGH auf Antrag zweier polnischer Richter zum Nachteil des Landes. Jüngst verurteile der EuGH Polen zu Strafzahlungen in Höhe von einer Million Euro täglich. Kern dieses Urteils ist die seit 2018 am obersten polnischen Gericht ansässige Justizkammer. Diese ist in der Lage, Richter zu entlassen, deren Gehälter zu kürzen und ihre Immunität aufzuheben. Der EuGH ist der Auffassung, dass die Existenz und Kompetenz dieser Kammer grundlegend mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sei. Die Kompetenzen der Kammer sorgten dafür, dass die polnische Justiz weder unparteilich noch unabhängig arbeiten könne. Dies verstoße gegen Europarecht.
Vor einigen Tagen urteilte dann auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegen das Land. Es klagten zwei polnische Richter, die sich auf Stellen beworben hatten und abgelehnt worden waren. Einfluss auf diese Ablehnung hatten wohl sowohl das polnische Parlament als auch die polnische Exekutive. Deshalb hat der EGMR Warschau nun zu einer Entschädigungszahlung von je 15.000 Euro an die Richter verurteilt. Das Land habe gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 der EMRK verstoßen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Konflikt zwischen der EU und Polen ist allerdings keinesfalls einseitig. Auch Polen hat gegen die EU alle möglichen Muskeln spielen lassen. Zum Beispiel urteilte das polnische Verfassungsgericht auf seltsame Weise, dass die EU, respektive der EuGH – im Hinblick auf dessen Einschätzung, dass der polnische Umbau der Justiz europäisches Recht verletze -, dass die EU in diesem Bereich keinerlei Kompetenzen hätte. Auch kündigte Warschau auf die angeordnete Strafzahlung hin an, jene nicht zu bezahlen. Jedenfalls ist klar zu erkennen: Die EU und Polen liegen im Clinch.
Doch ist ein Ende des Konflikts in Sicht? Die EU und ihre Gerichte werden nicht selten als „zahnlose Tiger“ bezeichnet. Diesen Ruf hat sich die EU erarbeitet, da häufig die konsequente Durchsetzung europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten an beschränkten Zwangsmitteln seitens der EU scheitert. Dies könnte im Fall Polen allerdings anders liegen. Polen muss aktuell 1,5 Millionen Euro Zwangsgeld pro Tag an die EU abführen. Eine Million davon beruhen auf dem Urteil gegen die Justizreform, 500.000 auf dem Kohleabbau, den Polen nicht einstellen will. Zahlt Polen, wie angekündigt, dieses Zwangsgeld nicht, so darf die EU die Summe schlicht von Auszahlungen an das Land abziehen. Zwar hat Polen schon angekündigt, diese Summe wiederum von Zahlungen an die EU zurückzuhalten, allerdings ist Polen massiver Nettoempfänger. Das heißt, dass Polen deutlich mehr Geld von der EU empfängt als es in EU-Kassen einzahlt. Kurz- oder langfristig wird sich ein Land wie Polen also keine 45 Millionen Euro im Monat leisten wollen. Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht und wird auch zukünftig sowohl Brüssel und Luxemburg als auch Warschau beschäftigen. Die EU allerdings scheint hier auf Dauer wohl den längeren Hebel zu haben.
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