Wie würdest du Macht beschreiben? Die bis heute im wissenschaftlichen Diskurs geläufigste Definition stammt von Nationalökonom Max Weber: „Macht ist jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“
Das Interessante an dieser Diskussion ist die für ihre Knackigkeit überraschende Tiefe. Eine kleine Obduktion der Definition.
Macht ist jede Chance,…
Macht zeigt sich nicht in ihrer Nutzung oder Ausübung. Schon die Wortstämme im Deutschen („Macht“ – gotisch: „magan“) und im Englischen („Power“ – Latein: „potis“) bedeuten jeweils „vermögen“ bzw. „vermögend“. Sie beziehen sich jeweils darauf, Potential zu besitzen, etwas zu können. Trotz dieser eigentlich völlig neutralen Bedeutung ist vor allem das Deutsche „Macht“ gegenüber dem englischen „Power“ vornehmlich negativ konnotiert und wird auch meist im negativen Kontext verwendet. Als Beispiel und Erklärung kann direkt der zügellose Machtmissbrauch der Deutschen in der NS-Zeit herhalten. Während Erhebung über andere in keiner Kultur gerne gesehen wird und schnell an fehlende Solidarität denken lässt, scheint es berechtigterweise vor allem für Deutsche im historischen Kontext einen bitteren Beigeschmack zu haben. „Power“ hingegen scheint von diesem Schicksal weitgehend verschont geblieben zu sein, in Anbetracht dessen, dass die Anglosachsen auch heute noch Power Outlets nutzen und Autos mit Horse Power fahren.
Innerhalb einer sozialen Beziehung
Macht ist keine einer spezifischen Person inhärente Eigenschaft. Der/Die Mächtige steht nicht für sich. Macht ist das „Ergebnis der sozialen Relation zweier Personen, von denen der Mächtige über mehr ermächtigende Ressourcen verfügt als der andere“ (French und Raven). Diese Feststellung basiert auf der konstruktivistischen Weltanschauung, laut der wir Menschen nicht in der Lage sind, eine objektive Realität wahrzunehmen. Wir alle konstruieren uns eine ganz individuelle Realität in unserem Verstand, basierend auf unserem Wissen, unseren Erfahrungen, Werten und Sinneswahrnehmungen. Damit ist klar: Niemand ist per se mächtig. Mächtig ist, wer für mächtig gehalten wird. Die Macht einer Person über eine andere entspringt individuell dem Kopf der beherrschten Person: Während sich manche Menschen bereits dem geringsten Druck beugen, gehen andere als Märtyrer in den Tod, weil sie sich selbst durch die Androhung finaler Gewalt nicht dazu bewegen lassen, etwas zu tun, was sie nicht tun wollen.
Den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen
Webers Einwurf des kleinen „auch“ beweist Weitsicht. Die jüngere Psychologie unterscheidet zwei Arten der Machtnutzung. Zum einen die negative Machtausübung gegen Widerstreben der unterlegenen Person, zum anderen positive Einflussnahme ohne Widerstreben der beeinflussten Person. Üblicherweise nehmen wir Machtnutzung als „Überwältigung“ unter Anwendung von Gewalt, ihrer Androhung oder sonstiger Konsequenzen an. Doch trotz dieser negativen Konnotation, kann auch der gutgemeinte und willkommene Rat einer Person, zu der wir aufsehen oder deren Bestätigung wir suchen, die Nutzung von Macht sein.
Gleichviel, worauf diese Chance beruht.
Macht hat dementsprechend keineswegs immer von körperlicher, geistiger oder auch rein bürokratischer Überlegenheit auszugehen. Die Machtbasentheorie der Psychologen John R. P. French und Bertram H. Raven geht von sechs unterschiedlichen Basen von Macht über andere aus:
- (Hoffnung auf) Belohnung
- (Angst vor) Bestrafung
- (Suche nach) Legitimation
- Identifikation (mit dem Mächtigen)
- (Vertrauen in) Expertentum
- (Bedarf nach) Information
Dabei können alle diese Druckmittel versprochen, verfälscht, angedroht, unterschlagen oder sonst wie angewandt werden, um alle Arten von Macht abzubilden, denen wir in unserem Alltag begegnen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Newsletter keepitliberal.de – die Woche. Meldet euch für unseren Newsletter an und lest meint! exklusiv schon am Samstag – direkt in eurer Inbox.