Der Sport der nächsten Generation

Die physische und psychische Belastung, die eine Sportart auszeichnet, ist bei allen eSport-Spielen gegeben und nicht abhängig von der Simulation einer bereits anerkannten Sportart. Diese künstliche Eingrenzung entspringt eher den Grenzen im Kopf, als der tatsächlichen Unterschiede der Spiele.

„eSport ist kein Sport“

Das sagt zumindest der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Dieser hat 2019 ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, dass eSport keine Sportart ist. Hierbei wird sich vor allem auf die höchstrichterliche Rechtsprechung1 berufen, die eSport mangels einer körperlichen Komponente nicht als – gemeinnützigen – Sport ansieht. 

Doch was ist eSport überhaupt? Die bekannteste Definition beschreibt ihn als organisierten und kompetitiven elektronischen Sport, bei dem sich ein oder mehrere Spieler innerhalb von Video- und Computerspielen messen.2

Und wie sieht das der DOSB? Dieser bezeichnet eSport-Titel wie „FIFA“ oder „NBA2K“, in denen Sportarten wie Fußball oder Basketball simuliert werden, als „virtuelle Sportarten“, lehnt aber weiterhin die Verwendung des „eSport“-Begriffs konsequent ab und wählt stattdessen für alle anderen, nicht sportbezogenen Spiele, die Bezeichnung „eGaming“. Ihr habt richtig gelesen: „eGaming“. Da die deutsche Definition von „Gaming“ ohnehin „das Spielen von Computerspielen“ meint, ist das „e“ völlig obsolet. Die Bezeichnung „eGaming“ ist damit nichts als ein mieser Kompromiss – ohne am Ende den eSport als „richtigen“ Sport anzuerkennen.

Doch befassen wir uns zunächst mit den wichtigsten Argumenten des Gutachtens, sowie der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

„eSportler sind keine Athleten“

Der Gutachter Prof. Dr. Peter Fischer fokussiert sich in seiner Begründung vor allem auf die körperlichen Anforderungen an Sport. In dem Dokument heißt es, Sport sei, obwohl es keine Legaldefinition gibt, durch die langjährige Rechtsprechung an die Körperlichkeit konkretisiert. Die Vorstandsvorsitzende des DOSB, Veronika Rücker, sagt dazu, dass das Gutachten die konsequente Ablehnung der Aufnahme von eSport in den organisierten Sport bestätige. Es geht also vor allem darum, dass man eSportler nicht mit richtigen Athleten gleichsetzen möchte.

Doch wie aktiv sind eSportler denn tatsächlich? An dem Einwand des DOSB ist nicht alles falsch, denn das Ergebnis einer aktuellen Studie der Deutschen Sporthochschule Köln, hat ergeben, dass mehr als jeder vierte eSportler (26,8 Prozent) übergewichtig ist, weitere elf Prozent weisen gar Adipositas der Stufen I, II und III auf.3 Das Vorurteil der unsportlichen Gamer ist demnach nicht völlig unberechtigt, doch trifft es auf die Mehrheit der befragten eSportler gar nicht zu. Die überwiegende Mehrheit, ist jung, schulisch gut gebildet und sportlich aktiv, also das komplette Gegenteil von dem, was sich in den Köpfen vieler Menschen hält. Rund 84 Prozent der Befragten betreiben zusätzlich zu ihrem eSport-Engagement klassischen Sport.4  Die Aussage, dass eSportler unfit seien, ist so pauschal formuliert falsch.

Dieser Meinung ist unter anderem auch Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen Sporthochschule Köln. Dieser hält diese Klischees ebenfalls für „längst überholt.“4 Laut ihm zeige professionelles Gaming sogar viele Parallelen zu klassischen Sportarten. Denn ähnlich wie beim Schach oder Schießen, stünden nicht nur die körperlichen Aktivitäten im Vordergrund, sondern auch Taktik und Konzentration. Nichtsdestotrotz werde beim Spiel an der Konsole der ganze Körper beansprucht – so die Erkenntnis seiner Untersuchungen. Es steige die Herzfrequenz und der Blutdruck, Adrenalin würde ausgeschüttet und der Stoffwechsel angeregt. Im eSport sei körperliche Fitness und eine trainierte Muskulatur mindestens so wichtig wie ein gutes Nerven-Muskel-Zusammenspiel, eine hohe Auffassungsgabe, hohe Stressresistenz, Ausdauer und Schnelligkeit.

Doch jung und fit sein macht alleine natürlich noch keinen Hochleistungssportler. Deswegen hat die Sporthochschule Köln eSportler auch diversen Tests unterzogen. Hierbei kam heraus, dass sie körperlichen Belastungen ausgesetzt seien, die denen von richtigen Profisportlern ähneln. eSport sorge unter anderem für Herzfrequenzen und Cortisolwerte wie beim Elfmeterschießen im Champions-League-Finale.

Für das Institut von Professor Froböse ist eSport daher ein zukunftsträchtiger Sport, der das alte Verständnis von Sport aufbricht und neue Ansätze zulässt. Zudem sei er ein sehr wandelbarer und schnelllebiger Sport, der direkt abhängig ist von den Fans und der Beliebtheit der Spiele. Der eSport sei kein kurzfristiger Modetrend, sondern der Sport der nächsten Generationen.5

Dass die körperliche Komponente beim eSport fehlt, ist somit widerlegt. Doch ist diese nicht alleine Grund für die Entscheidung. Der Gutachter verweist auch auf die fehlende Gemeinnützigkeit des eSport. Schach hingegen gilt nach § 52 Abs. 1 Nr. 21 AO als Sport, obwohl es ebenfalls nicht alle Voraussetzungen des Sportbegriffs erfüllt. Wenn der Gesetzgeber also zum Ausdruck bringt, dass Schach eigentlich auch kein Sport ist, stellt sich die Frage, warum der eSport dem Schach nicht gleichgestellt werden kann. Die Gemeinnützigkeit des Schachs stütz sich auf die intellektuelle und willensmäßige Anspannung, die zu folgerichtigem Denken erzieht, Kombinations- und Konzentrationsfähigkeit übt und Entschlusskraft und kritische Selbsteinschätzung fördert.6 Inwiefern dies nicht auf Echtzeitstrategiespiele wie „League of Legends“ oder „Counter Strike“ zutreffen würde, ist mir nicht erklärlich. Es scheint mir daher entsprechend gewagt, den eSport nicht als Sportart anzuerkennen, wo doch derart viele Parallelen bestehen.

„Warum überhaupt anerkennen lassen?“

Wenn der Sport den eSport nicht „braucht“, braucht der eSport dann die Anerkennung als Sportart? Fakt ist, dass der eSport auch ohne diese offizielle Anerkennung stattfindet und erfolgreicher ist als je zuvor. Allerdings würde die Anerkennung als Sportart den eSport-Organisationen das Leben um einiges erleichtern: Steuerbegünstigungen, rechtliche Gleichstellung mit anderen Vereinen und allgemeine Anerkennung in der Gesellschaft. Außerdem könnte sich dadurch eine weitere Perspektive öffnen: eine Teilnahme von eSportlern an Olympia. Je mehr Nationen den eSport als Sportart anerkennen, desto stärker wird die Diskussion geführt werden, ob und wann eSport olympisch wird. Denn mit Medaillen winken auch weitere Einnahmen. Braucht der eSport also den „normalen“ Sport? 

Ralf Reichert, Chef des eSport-Veranstalters ESL, trifft den Nagel auf den Kopf. Er sagt, dass „wahrscheinlich weder Olympia den eSport braucht noch der eSport Olympia. Aber Computerspiele sind das Medium, das es am besten versteht, Wettbewerber aus aller Welt gegeneinander antreten zu lassen und so zu vereinen.“ 

„Wen interessiert schon eSport?“

eSport ist ein Phänomen, dessen Ausmaße viele seiner Gegner nicht zu verstehen scheinen. Der eSport-Markt hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Boom erlebt, da sich immer mehr Zuschauer ansehen, wie ihre Lieblingsspiele von den besten Gamern der Welt gespielt werden. Vergleichen wir doch einfach mal die größten klassischen Sport-Events der USA, wie dem Superbowl oder den NBA Finals, mit den größten eSport-Events. Der Superbowl hat im Jahr 2018 durchschnittlich 111 Millionen Zuschauer gehabt, die NBA Finals beispielsweise nur 17,7 Millionen. Die League of Legends World Championship hatte stolze 200 Millionen Zuschauer. Das Leage of Legends Mid-Season Invitational hatte immerhin 60 Millionen Zuschauer. Damit liegt eSport bereits jetzt schon höher im Kurs, als viele andere Sportarten. Vergleicht man das mit der Anzahl der Fans, so hat eSports trotz der nur 427 Millionen Fans, eine unterstützendere Fanbase als Basketball mit 825 Millionen Fans. Das alleine ist natürlich noch nicht alles, im Sport geht es – wie überall – auch um Geld.

Es wird erwartet, dass der eSport Markt weltweit von 776,4 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 auf knapp 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 anwachsen wird.7 Die Bundesliga alleine lag im Jahr 2019 bei 4,8 Milliarden.8 Das Potential dieses Marktes darf daher keinesfalls außer Acht gelassen werden. Deutschland nennt sich „Technologienation“ – sich erneut abhängen zu lassen wäre nicht nur äußerst peinlich, sondern auch eine weitere vertane Chance, sich auf dem Technologiemarkt zu beweisen. Insbesondere im asiatischen Raum ist eSport längst ein Massenphänomen. In Südkorea wurde bereits im Jahr 2000 mit der „Korean eSports Association“ ein Dachverband gegründet, um eSport in Südkorea zu etablieren und zu verwalten. Auch in anderen Ländern wie Japan, Brasilien, den USA oder Frankreich ist eSport inzwischen eine anerkannte und beliebte Sportart. Hier zulande setzt sich der „e-Sport-Bund Deutschland“ (ESBD), ein Interessenverband zur Förderung von eSport, für die Anerkennung als Sportart ein – bisher leider vergebens.

Eine internationale Übertragbarkeit der Entscheidungen hängt immer auch von der nationalen Gesetzgebung ab. Das sollte uns jedoch nicht das Potential dieses Marktes verkennen lassen.

eSports market revenue worldwide from 2018 to 2023

„Was sagt die Politik dazu?“

Die Bundesregierung hat 2018 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass man eSport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen wolle. Dadurch ist ein erheblicher Druck auf den organisierten Sport entstanden, sich gegenüber den digitalen Video-und Computerspielen zu öffnen. Geschehen ist bislang nichts, ganz im Gegenteil, die Meinung hierzu scheint sich eher gewandelt zu haben.

Ein entsprechend herber Rückschlag ist es nun, dass sich die CDU/CSU anscheinend dem DOSB gebeugt hat, was die Vollständigkeit der Anerkennung angeht. In dem Beschluss der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion vom 16. Juni 2020 heißt es nun plötzlich, „eSports fällt unter den Begriff Sport, soweit es sich um elektronische Sportsimulationen handelt“. Von der zuvor angekündigten vollständigen Anerkennung keine Spur. Das Problem daran? Durch das Raster fallen somit alle marktführenden eSport-Titel von „Counter-Strike“ und „Overwatch“ über „Fortnite“ bis hin zu Echtzeitstrategiespielen wie „League of Legends“, „StarCraft 2“ und „Dota 2“. Gerade mit diesen Spielen steht und fällt jedoch der eSport-Markt. Sieht man sich die Wettkämpfe von Spielen wie beispielsweise League of Legends oder Counterstrike an, so stellt man fest, dass dort Höchstleistungen erbracht werden. Wie man es von Profisportlern kennt, benötigt es jahrelanges Training und Förderung, um Profi zu werden und Unmengen an Arbeit, dieses Level zu halten. Man kann die Anerkennung des eSport nicht auf einzelne Spiele begrenzen. Die physische und psychische Belastung, die diese Sportart mit sich bringt, ist bei allen eSport-Spielen gegeben und nicht abhängig von der Simulation einer bereits anerkannten Sportart. Diese künstliche Eingrenzung entspringt eher den Grenzen im Kopf, als den tatsächlichen Unterschieden der Spiele. 

Auch im Sport findet ein digitaler Wandel statt, den Deutschland entweder aktiv mitgestalten kann oder diese Chance verpasst.

Britta Dassler, Abgeordnete der FDP-Fraktion

Viele Oppositionsparteien sind von der Positionierung der Bundesregierung enttäuscht. Britta Dassler von der FDP zum Beispiel. Sie sagt, dass sich die Bundesregierung zu Unrecht als Vorkämpfer von eSport verkaufe. Tatsächlich tue die Große Koalition viel zu wenig, wenn es um die konkrete Verbesserung der Rahmenbedingungen für den eSport in Deutschland geht.9 Da eSport auch gerade für die jungen Generationen zu einem immer wichtigeren Thema wird, wäre die Nichtanerkennung ein erneuter Rückschlag für die junge Wählerschaft.

Mein Fazit

Videospiele haben ihre Wurzeln im Wettkampf, erfordern athletische Fähigkeiten, viel Übung und körperliche Aktivität. Sie finden in den größten Stadien der Welt statt und ihre Spieler werden von Massen eingefleischter Fans angefeuert, von denen manche Sportler nur träumen können. Wettkämpfe, egal ob einzeln oder im Team, sind unterhaltsam und finden unter hohem Einsatz statt. Es ist also nicht abwegig zu dem Schluss zu kommen, dass Videospiele kompetitiv und gemeinnützig sind. In Deutschland gibt es womöglich noch sehr viele, großartige Talente im Bereich eSport, nur sehen wir diese nicht. Wir sollten diese Leute nicht an andere Länder verlieren, sondern unser eigenes Potential erkennen und fördern.


  1. BVerwG v. 09.03.2005 – 6 C 11/04, MMR 2005, 525.[]
  2. https://www.esportwissen.de/philosophie/[]
  3. https://www.mdpi.com/1660-4601/17/6/1870[]
  4. https://www.dshs-koeln.de/fileadmin/_migrated/news_uploads/pm1905_01.pdf[][]
  5. https://www.esportwissen.de/philosophie/#01[]
  6. AO v. 31.08.1979 (BT-Drs. 8/3142) []
  7. https://www.statista.com/statistics/490522/global-esports-market-revenue/[]
  8. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4867/umfrage/entwicklung-der-erloese-in-der-ersten-und-zweiten-fussballbundesliga/[]
  9. https://www.fdpbt.de/dassler-bundesregierung-kein-vorkaempfer-fuer-esports[]

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