Verzweiflung oder Desinformation? Der grüne Wahlkampf mit der DIW-Studie

In den letzten Tagen teilten grüne Politikerinnen und Politiker und ihre Anhängerschaft fleißig die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die angeblich beweisen soll, dass das Klimaprogramm der Grünen das einzig wirksame sei. Doch die Studie wirft Fragen auf.

Es wirkt für die meisten zunächst wenig abwegig, dass die Grünen, selbsternannte Klimapartei, mit ihrer selbsternannten „Klimakanzlerin“ Annalena Baerbock das effektivste Klimaprogramm haben sollen. Das versuchten zahlreiche Grüne in den letzten Tagen anhand einer Studie des DIW zu belegen. Doch bereits die fleißig geteilten Zusammenfassungen der Studie werfen Fragen auf.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, teilte etwa auf Twitter diese Grafik, die in ähnlicher Form auch im Abstract der Studie zu finden ist.1 Dort sind die Grafiken der Parteien anders angeordnet, die Radar Charts jedoch dieselben. Was hier jedem, der sich ein wenig mit Klimapolitik auseinandergesetzt hat, sofort auffallen muss: Die unbestritten hoch wirksame Internalisierung externer Effekte wird mit sektorspezifischen Maßnahmen gleichgesetzt – die Sektoren (Energie, Industrie, Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr) stehen gleichberechtigt neben der Internalisierung, der internationalen Klimapolitik und natürlichen Senken (z.B. Moore & Wälder, die als CO2-Speicher dienen können). Bei einer umfassenden Internalisierung der Externalität Treibhausgasemissionen in allen Sektoren – sei es durch eine CO2-Steuer, wie es sie aktuell gibt, oder durch das wirksamere, da zwingend nach oben gedeckelte „Cap-and-Trade“-System des EU-Emissions-Zertifikatshandels – werden jedoch gerade die genannten Wirtschaftssektoren miterfasst.

Ist, vom Zertifikatshandel ausgegangen, das CO2-Limit nun niedrig genug, muss eine Partei mit gutem Ergebnis bei der Internalisierung auch in den einzelnen Wirtschaftssektoren ein gutes Ergebnis haben. Eine Partei ohne effektive Internalisierungsstrategie könnte in den Sektoren nur gut abschneiden, wenn sie durch zahlreiche Einzelmaßnahmen und Micromanagement den Ausstoß im jeweiligen Sektor drücken würde – es wären typische grüne Ideen wie ein Tempolimit im Verkehr, planwirtschaftlicher Kohleausstieg und Industrieumbau, Öko-Subventionen in der Landwirtschaft oder eine Solarpflicht für Gebäude. Von der internationalen Vermittelbarkeit, die jedoch für global funktionierenden Klimaschutz essentiell ist – schließlich hört die Erdatmosphäre nicht in Garmisch-Partenkirchen, Aachen oder Frankfurt (Oder) auf – wird hier der Verständlichkeit halber abgesehen, zumal diese unter den wohl als einzigen halbwegs zutreffend bewerteten Punkt „Internationale Klimapolitik“ fällt.

Ein anderer Weg

Betrachtet man nun die Ergebnisse der Parteien, stehen die Grünen mit gutem Ergebnis in allen Bereichen weit vorn, die Linke profiliert sich ebenfalls mit Ausnahme der Internalisierung externer Effekte fast überall, SPD und CDU sind überall mittelmäßig. Heraus sticht: Die FDP. In den Bereichen Internationale Klimapolitik, Internalisierung externer Effekte und Natürliche Senken steht sie gut da, bei Verkehr, Energie und Industrie sehr schwach und bei Gebäuden und Landwirtschaft erhält sie genau null Punkte. Betrachtet man das Klimaprogramm der FDP im Gegensatz zu den anderen Parteien, fällt eines auf: Sie verfolgt einen völlig anderen Ansatz.

Die Freien Demokraten wollen den CO2-Ausstoß mit einer alle Sektoren umfassenden Maßnahme begrenzen: Dem Emissions-Zertifikatshandel, der auf EU-Ebene in den Bereichen Energie, Industrie und Luftverkehr bereits etabliert ist und die dort gesetzten Ziele erreicht. Dabei wird eine feste Obergrenze für CO2-Äquivalente2 eingeführt, in deren Rahmen jährlich Zertifikate versteigert werden, die Marktteilnehmer frei untereinander handeln können. Wer Treibhausgase ausstößt, muss eine entsprechende Menge an Zertifikaten halten. Den CO2-Preis legt nicht die Politik fest, sondern der Markt – dasselbe gilt für die Technologien der Zukunft, über die Technikerinnen und Ingenieure ohnehin besser Bescheid wissen als Bundestagsabgeordnete oder Ministerinnen. Treibhausgasemissionen bleiben so in den Bereichen vorerst möglich, in denen die Transformation zur Klimaneutralität länger dauert – schneller CO2-neutrale Unternehmen profitieren dagegen gegebenenfalls durch Zertifikatsverkäufe, was einen Anreiz zum Klimaschutz bietet. Daneben werden CO2-intensive Technologien teurer, was sie unattraktiv und auf Dauer nicht marktfähig macht. Zudem ist es sogar möglich, durch Verfallenlassen von Zertifikaten das CO2-Limit zu unterbieten.

Der wichtigste Punkt ist jedoch: Mit einer starren CO2-Obergrenze werden die gesetzten Klimaziele sicher erreicht. Es gibt daran keinen Weg vorbei. Um die Klimakrise ausreichend abzumildern, muss diese Obergrenze sich natürlich am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ausrichten – zu dem die FDP sich bekennt. Daneben muss sie für alle Bereiche gleichermaßen gelten: Einzelne Sektorziele, wie das deutsche Klimaschutzgesetz sie aktuell vorsieht, fallen weg. Das gilt auch für planwirtschaftliche Kalenderdaten wie beim Kohleausstieg. Die Obergrenze kann und muss zunächst eine deutsche sein – eine Ausweitung auf die europäische Ebene oder darüber hinaus ist aber für funktionierenden Klimaschutz notwendig. Nicht umsonst plant die EU-Kommission bereits ihrerseits eine Ausweitung auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ab 2025. Die FDP formuliert es so: Der Weg sei „erst beendet, wenn alle Emissionen weltweit einen einheitlichen marktwirtschaftlichen CO2-Preis haben.“3

Daneben sieht die FDP wenig bis keine branchenspezifischen Maßnahmen vor: Kein Tempolimit, wenig Subventionen oder Sondersteuern, keine Verbote – abgesehen von dem Verbot, den CO2-Deckel zu überschreiten. Und hier zeigt sich die ganze Absurdität der DIW-Studie: Die Auswirkungen der Einpreisung von Emissionen aus den Wirtschaftsbereichen durch den Zertifikatshandel werden vollkommen ignoriert. Das DIW schreibt: „Andere Parteien haben relevante Themengebiete, wie Landwirtschaft oder Gebäude (FDP), vollkommen ausgeklammert.“4 Das ist insofern richtig, als dass die FDP keine spezifischen Klimaschutzmaßnahmen in diesen Sektoren vorsieht – dennoch sollen diese wie alle anderen Teil des Zertifikatshandels werden, wodurch auch sie gezwungen wären, ihre Treibhausgasemissionen spätestens mittel- bis langfristig auf Null zu senken. Das Konzept wirkt also auch für sie – dafür braucht es gerade keinen eigenen Absatz im Wahlprogramm.

Äpfel und Birnen

Es zeigt sich: Die Studie vergleicht mit der Internalisierung von Externalitäten und den sektorspezifischen Vorhaben Dinge miteinander, die nicht nebeneinanderstehen, sondern im besten Fall durcheinander erreicht werden – Klimaneutralität im Verkehrssektor erreicht man durch konsequente Emissionsbepreisung und -deckelung, nicht durch Tempolimits und Lastenräder. Doch viel dramatischer: Das DIW erkennt die Auswirkungen einer CO2-Bepreisung auf die einzelnen Wirtschaftssektoren nicht einmal an.

Warum? Dazu heißt es lediglich im Abstract, die Maßnahmen der FDP beruhten überwiegend auf Marktmechanismen. Und weiter: „Mit Blick auf die knappe verbleibende Zeit zum Erreichen der Klimaschutzziele und die Vielzahl verschiedener Hemmnisse in den unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen mit negativen Auswirkungen auf das Klima, müssen diese Marktmechanismen allein als nicht ausreichend angesehen werden, um die Ziele zu erreichen.“5 Eine Begründung dafür gibt es in der 95 Seiten umfassenden Studie nicht. Der Glaube zählt. Und das, obwohl Micromanagement die unterschiedlichen Emissions-Vermeidungskosten nur unzureichend berücksichtigt und so unnötig hohe Kosten sowie soziale Härten produziert.6

Es wirkt fast wie eine grüne Auftragsarbeit – sich an solchen Spekulationen zu beteiligen, zahlt aber nur auf das grüne Konto ein. Es ist auch nicht der erste Fall in der Reihe der fragwürdigen wissenschaftlichen oder wissenschaftsjournalistischen Analysen der Klima-Wahlprogramme – erst vor einer guten Woche hat die WDR-Sendung „Quarks“ mit einem noch kurioseren, da offensichtlichen Fall Schlagzeilen gemacht. Den Grünen gefällt es, sie nutzen solche Veröffentlichungen natürlich für ihre Zwecke. Es spricht daraus zumindest eine gewisse Verzweiflung angesichts schlechter Wahlkampf-Performance.

Aber eigentlich sollten es gerade die Grünen besser wissen, als es die DIW-Studie macht. Wer sich Klimapartei nennt und „Listen to the science“ auf die Fahne schreibt, ist gut beraten, das auch ernst zu nehmen. Mit Subventionen, Verboten, Micromanagement und Lastenrad löst man die Klimakrise vielleicht in Bullerbü – aber nicht in Deutschland und Europa und erst recht nicht in Indien oder China.


Transparenzhinweis: Der Autor ist Mitglied der FDP.


  1. DIW Econ, Wieviel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen? (https://diw-econ.de/wp-content/uploads/DIWEcon_Wahlprogramme_Plausibilitaetsanalyse_v2.0.pdf), Abstract S. ii.[]
  2. CO2-Äquivalente sind eine Maßeinheit für Treibhausgase, zu denen neben CO2 beispielsweise auch Methan oder Lachgase gehören. Durch die Umrechnung in CO2-Äquivalente kann so für verschiedene klimaschädliche Emissionen ein einheitliches Bepreisungssystem festgelegt werden.[]
  3. Freie Demokratische Partei, Nie gab es mehr zu tun – Wahlprogramm der Freien Demokraten (https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-08/FDP_BTW2021_Wahlprogramm_1.pdf), S. 46.[]
  4. DIW Econ, Wieviel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen?, Abstract S. ii.[]
  5. a.a.O., Abstract S. iv.[]
  6. https://ecoaustria.ac.at/klimainstrumente-im-vergleich/[]

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