Welche Verantwortung tragen Unternehmen?

Tragen Unternehmen eine ethische und soziale Verantwortung und wie weit reicht diese? Ein Blick darauf, wie sich die Antwort auf diese Frage in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat.

Durch den Siegeszug des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nicht nur nie  dagewesener Wohlstand in der westlichen Welt geschaffen; auch privatwirtschaftliche Akteure erhielten nie zuvor dagewesene Macht. Die Globalisierung hat den Nährboden für multinationale Konzerne geliefert, die heute beeindruckende Marktmacht besitzen.

Mit der zunehmenden Marktmacht hatte sich seit ab 1950ern eine Diskussion über die soziale Verantwortung von Unternehmen entwickelt, die über die letzten Jahrzehnte weiter an Fahrt aufgenommen hat. Kernfrage zu Beginn dieser Diskussion war, ob privatwirtschaftliche Unternehmen überhaupt für etwas anderes als die Steigerung des unternehmerischen Gewinns Verantwortung tragen (Shareholder-Value-Perspektive). Heute ist es Konsens, dass ein solcher Fokus zu reduktionistisch wäre – unternehmerisches Handeln wird inzwischen eher aus einer Stakeholder-Value-Perspektive betrachtet. Dennoch bleiben viele Fragen: Wie weit geht die Verantwortung eines Unternehmens? Nach welchen Maßstäben richtet sich die soziale Verantwortung? Und sind soziale Verantwortung und Profitstreben überhaupt Gegensätze in einer Marktwirtschaft?

Was bedeutet Corporate Social Responsibility?

Da Unternehmen auch an politischer Macht gewinnen, werden Diskussionen über ihre ethische, soziale und ökologische Verantwortung immer relevanter. Diese Bereiche werden als Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet. Da eine genaue Definition dieses Begriffs fehlt, erhält er seine inhaltliche Bedeutung durch den Kontext seiner historischen Verwendung.

Die fünf zentralen Dimensionen beim Gebrauch des Begriffs CSR sind Stakeholder, soziale Verantwortung, wirtschaftliche Faktoren, die Freiwilligkeit der CSR-Maßnahmen und Umweltschutz.1 Andere konkret formulierte Konzepte zu dem Begriff, z.B. der „ISO 26000 Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen“2 formulieren ähnliche Unterpunkte mit den sechs verschiedenen Bereichen: Rechenschaftspflicht, Transparenz, ethisches Verhalten, Achtung der Interessen von Anspruchsgruppen, Achtung der Rechtsstaatlichkeit, Achtung internationaler Verhaltensstandards und Achtung der Menschenrechte.

Die Erwartungen an Unternehmen können je nach Land unterschiedlich sein. Insbesondere sei hier auf kulturelle Unterschiede hingewiesen, die für unterschiedliche ethische Standards sorgen können.3

Unternehmerische soziale Verantwortung gerät in den Fokus

Die Entstehungsgeschichte des Konzepts von CSR beginnt in den amerikanischen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten von Universitäten wie Harvard, Columbia, Berkeley und Northwestern. Damals wurden die Grundlagen festgehalten, was es überhaupt bedeutet, als Unternehmen sozial und verantwortungsvoll zu handeln.

In den 1970ern geriet das Konzept von CSR mehr und mehr in die Kritik. Ein führender Kritiker war Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman. Dieser führte damals in der New York Times aus, dass Vorstände von Unternehmen „eine Verantwortung dafür haben, wirtschaftlich nach den Wünschen ihrer Anteilseigner zu handeln, was bedeutet so viel Geld wie möglich zu erwirtschaften, während sie sich an die Grundregeln der Gesellschaft anpassen, sowohl die gesetzlich festgelegten als auch die Regeln, die aus Sitten und Gebräuchen entstehen.“ Seine Kritik an CSR konzentriert sich primär auf die folgenden Unterpunkte:

  1. Sozial motivierte Vorgaben lenken die Aufmerksamkeit der Manager vom primären Ziel ab, Gewinn für die Anteilseigner zu erwirtschaften.
  2. Ausgaben für CSR-Aktivitäten sind Ausgaben, die das Geschäftsergebnis des Unternehmens verschlechtern.
  3. Manager sind generell ignorant gegenüber sozialen Problemen, also werden ihre Maßnahmen in diesem Bereich der Gesellschaft wenig Mehrwert bieten.
  4. CSR ist das unternehmerische Äquivalent zu „taxation without representation“ gegenüber den Anteilseignern, für die philanthropische Ausgaben wie Steuern sind, bei denen sie über die Verwendung des Geldes nicht entscheiden.

Diese Ansichten gelten heutzutage aus guten Gründen als veraltet. Einige dieser Punkte lassen sich leicht widerlegen, so zum Beispiel Punkt 4). Denn auch die Anteilseigner würden selbstverständlich über die Verwendung von Geldern auch im philanthropischen Bereich mitentscheiden können. Daher mutet das Argument der „taxation without representation“ seltsam an. Auch die Richtigkeit deszweiten Punkts ist heutzutage  fraglich. Es gibt sogar mehrere wissenschaftliche Artikel , die einen positiven Effekt zwischen CSR-Ausgaben eines Unternehmens und dem operativen Geschäftsergebnis nahelegen 4)5).

In den 1980ern und 1990ern wandelte sich die Betrachtung von CSR-Aktivitäten von den kritischen Bemerkungen Friedmans zu einem holistischen Bild der unternehmerischen Aktivität, nicht zuletzt aufgrund mehrerer Skandale von Unternehmen wie Shell, Nestlé, Gap und Nike. Konzepte wie die triple bottom line6 (ökonomische, soziale und ökologische Faktoren) bildeten den Reputationsverlust von Firmen durch sozial unverantwortliches Verhalten ab.

CSR als Pyramide

Carroll (1991) versuchte die einzelnen Teilbereiche von CSR in seiner Pyramide als vier unterschiedliche Teilbereiche zusammenzufassen, die aufeinander aufbauen.

Auf dem untersten Level steht die Profitabilität des Unternehmens als absolute Grundvoraussetzung, die die Lebensfähigkeit eines Unternehmens garantiert. Unternehmen wird häufig vorgeworfen Gewinnmaximierung vor ihre soziale Verantwortung stellen, allerdings sollte man bedenken, dass es die primäre Funktion von Unternehmen in einer Marktwirtschaft ist, den Antrieb für die Weltwirtschaft zu bilden. Nur so können Unternehmen überhaupt im Wettbewerb überleben und ihrer gesellschaftlichen Rolle – Wohlstand erzeugen – gerecht werden.

Die darüber liegende Ebene der gesetzlichen Gesichtspunkte ist ebenfalls essentiell, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Hier gilt es, die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen oder sogar zu übertreffen. Allerdings befindet man sich hier in einem Bereich, der weniger definitiv ist als die ökonomische (profitmaximierende) Basis. In manchen Ländern stellt sich die Frage, an welche Gesetze sich ein Unternehmen überhaupt halten soll beziehungsweise, wann es gegen die gesetzlichen Vorgaben handeln sollte.

Teilweise ist es sogar schwer festzustellen, welche überhaupt die gültigen Gesetze sind beziehungsweise welche Regierung anerkannt wird. Aber auch auf einer kleineren Ebene ergeben sich immer wieder Dilemmas. Sollten Unternehmen beispielsweise bewusst Gesetze brechen, die nicht mit den ethischen Grundsätzen des Unternehmens vereinbar sind? Zum Beispielr die Datenschutzfeindlichen Gesetze in China, deren Befolgensogar als Mithilfe bei der Verfolgung Oppositioneller gewertet werden kann. Zudem stellt sich die Frage, ob Unternehmen im Ausland (ob durch eigene Aktivitäten oder Handlungen von Zulieferern) sich an die Gesetze aus dem Heimatland halten sollten – insbesondere in Bereichen mit einer starken ethischen Dimension, wie zum Beispiel Arbeitsschutzmaßnahmen. Diese Antworten können unmöglich ganz schwarz/weiß ausfallen.Denn obwohl beispielsweise Kinderarbeit in europäischen Ländern verboten ist, kann es die ethisch bessere Entscheidung sein, Kinderarbeit in ausländischen Märkten nicht zu eliminieren.

Der IKEA-Skandal in den 90ern exemplifiziert dieses ethische Dilemma besonders deutlich. Als klar wurde, dass IKEA-Produkte in Asien teils in Kinderarbeit hergestellt wurden, übten die europäischen Kunden so starken Druck auf IKEA aus, dass das Unternehmen vollständig auf Kinderarbeit in diesen Ländern verzichtete. Die Folge war allerdings, dass viele dieser Kinder durch den Lohnausfall in deutlich gefährlichere Tätigkeiten abrutschten – tragischerweise häufig auch in Zwangsprostitution… Natürlich sollte ein Unternehmen nicht einfach Kinderarbeit in seiner Produktionskette einsetzen, aber zumindest muss in solchen Fällen die Frage erlaubt sein, ob ein völliges Verbot die Lösung ist.. IKEA hat eine diversifizierte Lösung gefunden: es bietet den Kindern nun Bildungschancen und ermöglicht ihnen unter strengeren Vorlagen den Erwerb eines Einkommens in ihrer Produktion So wird verhindert, dass Kinder in illegale, gefährliche Milieus abrutschen.

Das letzte Beispiel eignet sich als gute Überleitung zur dritten Ebene: den ethischen Elementen der CSR-Pyramide – quasi das Herzstück von CSR. Klassisches Beispiel ist durch wirtschaftliche Aktivität ausgelöste Umweltverschmutzung. Natürlich kann ein staatliches System bestehen, das diese Externalität steuerlich (oder zum Beispiel durch einen CO2-Emissionshandel) einpreist. Allerdings wird dies nicht in allen Staaten der Fall sein. Häufig unterliegt es der Eigenverantwortung des Unternehmens, entsprechend verantwortungsvoll zu handeln. Über die letzten Jahrzehnte haben viele Unternehmen versucht Umweltverschmutzung zu minimieren, insbesondere durch den neuen Trend, dank solcher Strategien sogar höheren Profit zu erwirtschaften.

Die oberste Ebene stellt der philanthropischen Bereich dar. Hier handeln Unternehmen wie “gute Staatsbürger” und versuchen einen uneigennützigen Mehrwert für die Gesellschaft zu leisten. Insbesondere bei diesem Punkt wird Friedmans Kritik noch oft rezipiert. Der Wert solcher Maßnahmen für die Gesellschaft ist teilweise umstritten, da sich die Frage stellt, wie effizient Unternehmen philanthropische Aufgaben überhaupt erfüllen können. Allerdings existieren mehrere Paper, die argumentieren, dass Unternehmen viele Maßnahmen ergreifen können, von denen sie selbst und die Gesellschaft gleichzeitig profitieren können.7

„Doing well by doing good“

Der naheliegendste Weg, um durch gute CSR-Policies die eigene finanzielle Performance zu verbessern, ist die Verbesserung der Reputation des Unternehmens durch ethisch gutes Handeln.8 Man kann die Erfüllung von CSR-Standards auch als Weg zur Akzeptanz sehen, um sich langfristig in einem gewissen Markt, etwa in einem ausländischen Markt mit anderen moralischen Grundsätzen, durchzusetzen.9

In der Vergangenheit haben Unternehmen, die sozial verantwortungslos gehandelt haben, teilweise massive Schäden ihrer Marke hinnehmen müssen, die unweigerlich zu einer schlechteren finanziellen Performance geführt haben. Vieles deutets darauf hin, dass ethisch verantwortungsvolles Verhalten auch finanziell ein besseres Ergebnis einbringt. Ob sich dieser Zusammenhang eindeutig für einen langfristigen Zeitraum beweisen lässt, ist nach wie vor umstritten. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen deuten auf einen starken positiven Zusammenhang hin1011 – „doing well by doing good“ scheint also eine Realität zu sein. Dennoch bleiben Zweifel. Unter anderem, weil die Definition von CSR nicht eindeutig ist und in den wissenschaftlichen Untersuchungen verschiedene Definitionen verwendet wurden.

Reale Beispiele zeigen klare Wirksamkeit im Bereich Marketing

Politische Statements tauchen bereits seit Jahrzehnten in Werbespots auf, daher kann man sie nicht als neues Phänomen bezeichnen. Dennoch sucht Werbung  In den vergangenen Jahren zunehmend Kontroverse. Politische und gesellschaftliche Statements werden bewusst gesetzt um das Branding des eigenen Produkts zu verbessern. Bekannte Beispiele sind der „Toxic Masculinity“-Werbespot von Gilette oder die Nike-Kampagne mit Colin Kaepernick.

 Es ist fraglich, ob es sich hier noch um eine klassische CSR-Maßnahme handelt, mit der man sich für ein ethisches Anliegen einsetzt und gleichzeitig versucht, davon finanziell zu profitieren. Oder ob es nur darum geht, sich kontrovers zu einem emotionalen Thema zu äußern und der eigenen Marke ein klareres Branding zu verleihen – nahezu ungeachtet der wirklich eingenommenen politischen Position. Letzteres unterstellt dem Vorhaben eine gewisse Beliebigkeit bezüglich der ethischen Komponente der Aussage.

Es deutet viel darauf hin, dass in einigen Fällen die ethische Komponente solcher Aktivitäten tatsächlich in den Hintergrund gerät, sondern eine möglichst starke Polarisierung zu erreicht werden soll: starke Ablehnung und starke Zustimmung. Menschen, die eindeutig zustimmen, werden eventuell Produkte dieser Marke nur aus diesem Grund kaufen. Menschen, die die Message des Werbespots strikt ablehnen, werden dabei helfen, dem Werbespot Reichweite zu verschaffen. In den oben erwähnten Fällen von Gilette und Nike hat diese Strategie sogar so gut funktioniert, dass sich – zumindest in den USA – Nachrichtensendungen und politische Shows ausführlich zu diesen Werbespots äußerten: Reichweite, die die eines klassischen Werbespots deutlich übersteigt.

Vote with your wallet?

Wenn Unternehmen sich durch politische Statements nicht nur nebensächlichfür CSR-Projekte einsetzen, sondern vollständig als Akteure auf der politischen Bühne auftreten, nehmen sie eine vollkommen neue Rolle ein. Das kann problematisch sein. Diese Firmen besitzen keinerlei politische Legitimation und somit bestimmt die Marktmacht des Unternehmens, wie stark es auftreten kann. Das kann letztendlich so weit führen, dass Unternehmen genau die politische Positionierung wählen, die für sie profitmaximierend ist. Das wäre keine Vereinbarung von ethischem Handeln und Profitmaximierung mehr, da fraglich ist, wo die rein ethische Komponente verbleibt.

Wenn in demokratischen Systemen Mehrheitsmeinungen stark bevorzugt werden, und indes Minderheiten marginalisiert, so entscheidet hier nicht einmal eine Mehrheit in einem demokratischen Wahlprozess. Es entscheiden die Profitaussichten, die einzelne politische Positionen versprechen.

Falls Kunden diesen Zusammenhang nicht sehen, kann das langfristig durchaus demokratieschädigend sein. Besonders kontroverse politische Äußerungen werden als mutig angesehen – auch wenn sie profitmaximierend sind. Aus ethischer Sicht ist sicherlich nicht das profitmaximierendste Handeln das mutigste. In Gesellschaften, in denen das Vertrauen in klassische politische Institutionen gering ist (etwa in den USA), können Unternehmen hier ein Vakuum in der Gesellschaft besetzen.

Wie gefährlich gewisse Tendenzen in dieser Hinsicht sind, ist unklar. Grundsätzlich ist es eine positive Entwicklung, dass immer mehr Unternehmen CSR-Aktivitäten aufnehmen – auch durch zunehmende Vereinbarkeit von Profitmaximierung und CSR-Policies. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass der ethische Kern solcher Maßnahmen nicht gefährdet wird. Insbesondere der wachsame Konsument ist hier in der Pflicht, die Unternehmensinteressen zu hinterfragen – völlig gleich, wie man persönlich zu einer speziellen politischen Äußerung eines Konzerns steht. Klar ist, dass die politische Bühne dem einzelnen Bürger und demokratisch legitimierten Institutionen gehören sollte. Ansonsten räumt man Unternehmen deutlich mehr Macht ein, als für eine Demokratie gesund ist.

  1. Gooderham, Grøgaard & Nordhaug (2013): „International Management – Theory and Practice[]
  2. https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a395-csr-din-26000.pdf;jsessionid=99E8446EB05B0D9EAB5F5B066EB914F8.delivery1-replication?__blob=publicationFile&v=1[]
  3. Kolk & van Tulder, 2010.[]
  4. Margolis and Walsh (2003[]
  5. Orlitzky et al. (2003[]
  6. Elkington (1997).[]
  7. Vgl. Michael Porter & Mark Kramer (2002, 2006, 2011).[]
  8. Roberts & Dowling (2002).[]
  9. Calvano (2007).[]
  10. Margolis & Walsh (2003).[]
  11. Orlitzky et. al. (2003).[]

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