§exual – Die liberale Gesellschaft und ihre Sexualstraftäter:innen

Triggerwarnung: Dieser Artikel thematisiert sexualisierte Gewalt und den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dieser Thematik.

Von Politiker:innen instrumentalisiert, von der Gesellschaft geächtet, vom Resozialisierungsanspruch an unser Rechtssystem vergessen: Sexualstraftäter:innen.

Im Folgenden soll auf die Intention hinter dem Strafen mit besonderem Augenmerk auf dem Sexualstrafrecht thematisiert werden. Die Ächtung, die sexualstrafrechtlich-rechtswidriges Verhalten seitens der Allgemeinheit erfährt, ist von besonderer Intensität. Im öffentlichen Diskurs findet regelmäßig lediglich eine moralische Abwägung und Verurteilung statt, andere Maßstäbe und Argumente werden zur Bewertung eines Sachverhalts regelmäßig nicht herangezogen.

Diese Debatte weist das Potential auf, zu polarisieren. Besonders wichtig ist, sie letztendlich abseits vom Einzelfall zu führen. Der Einzelfall weckt vollkommen nachvollziehbar Mitgefühl und Sympathie, aber darf nicht instrumentalisiert werden, um die Thematik allgemein zu diskutieren. Im Folgenden werden einige Ansätze präsentiert, die berücksichtigt werden müssen, um sich als Gesellschaft unseres Verhältnisses zum Strafen bewusst zu werden.

Die Strafrechtswissenschaft unterscheidet im Bereich des Strafens zwischen relativen und absoluten Strafzwecken und verfolgt beide im Rahmen der Vereinigungstheorie gleichermaßen. Während Strafe nach den absoluten Straftheorien lediglich für Vergeltung und Sühne zu sorgen hat, differenzieren relative Strafzwecke bezüglich der Wirkungsrichtung zwischen dem Individuum und der Allgemeinheit. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung soll durch die Strafandrohung gestärkt werden und die Allgemeinheit vor dem Begehen ähnlicher Taten abgehalten werden. Das Individuum dagegen soll durch die Bestrafung vor einer erneuten Straftatbegehung abgeschreckt und resozialisiert werden.

Status Quo

Stimmen, die nach Strafmaßverschärfungen – besonders im Sexualstrafrecht – rufen, werden nicht nur an den Rändern des politischen Spektrums laut, sondern erreichen die Öffentlichkeit regelmäßig auch aus der Mitte der Gesellschaft. So ließ in den letzten drei Legislaturen, inklusive der aktuellen, das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz mindestens eine Initiative pro Legislatur zur Anhebung bestimmter Strafrahmen verlauten. Mehrheiten für eine Anhebung des Strafrahmens sind schnell gefunden, die Sympathien der demokratisch partizipierenden Gesellschaft sind einem sicher. Insbesondere im Sexualstrafrecht kann der Vergeltungsanspruch der Gesellschaft schier nicht befriedigt werden, was auf die Intensität der Rechtsgutsverletzung zurückzuführen ist. Unter Rechtsgütern verstehen Jurist:innen ein durch die Rechtsordnung geschütztes Interesse wie beispielsweise das Leben, die körperliche Unversehrtheit, das Vermögen oder eben die sexuelle Selbstbestimmung. Strafrahmen lassen sich hierdurch ins Unermessliche steigern, wobei es empirisch nur äußerst schwer nachzuweisen ist, wann alle anerkannten Strafzwecke erfüllt, aber nicht überstrapaziert werden. Zwar wird der Einfluss der Strafhöhe auf die Rückfallwahrscheinlichkeit regelmäßig statistisch erhoben, allerdings sind die Auswirkungen hoher Strafrahmen durch Abschreckung auf die Allgemeinheit beziehungsweise auf potentielle Ersttäter:innen rasch erschöpft. In der Abwägung, ob und in welchem Ausmaß eine Straftat begangen werden wird, kommt dem Strafrahmen selbst nur selten eine besondere Bedeutung zu. Weder während der Ausführung der Tat noch im Rahmen der Vorbereitungshandlungen.

§exual

Sexualstraftäter:innen sind in der Regel von dem Ruf der Gesellschaft nach Vergeltung am härtesten betroffen, obwohl man gerade in diesem Täter:innen-Kreis eine erhöhte Notwendigkeit von Resozialisierungsarbeit feststellen muss. Durch gezielte Maßnahmen und stetige Betreuung kann ein enormer Effekt erzielt werden, der diesen Menschen ein relativ normales Leben ermöglicht.

Dafür müssen aber gerade gesellschaftliche Stigmata aufgebrochen werden und verurteilten Sexualstraftäter:innen auch ein Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft ermöglicht werden. Psychologische Betreuung muss jederzeit gewährleistet werden, was leider im medizinischen Bereich schon keine Selbstverständlichkeit ist.

Vertreter:innen resozialisierender Strafzwecke haben sich gegen eine immer anhaltende Strafrahmenerhöhung zu stellen, um eben gerade dieser Tätergruppe gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen.

Die Unschuldsvermutung

Im Bereich des Sexualstrafrechts bekennt sich lediglich die Justiz zur Unschuldsvermutung. Die Öffentlichkeit sympathisiert mit (potenziellen) Opfern und lechzt nach Informationen, um die eigene Schlagzeilenlust zu befriedigen. Die Presse kennt kein Halten beim Gedanken an die nächste Auflage, wirft Persönlichkeitsrechte über Bord und zerstört Existenzen.

Ein Ausschluss der Öffentlichkeit muss zahlreiche Hürden nehmen, um Rechtsstaatsprinzipien zu wahren. Gleichzeitig bedeutet die Teilnahme im Bereich der Öffentlichkeit eine enorme Belastung aller Beteiligten. Dieser Konflikt ist schier unlösbar, da gerade dem Öffentlichkeitsprinzip vollkommen zurecht ein enorm hoher Stellenwert zugemessen wird.

Die Medien stehen hier in der Verantwortung einen Umgang mit (Sexual-)Straftäter:innen zu schaffen, der ihnen ein Leben nach der Strafverbüßung ermöglicht.

Gerade Liberale haben sich dafür einzusetzen, dass auch im öffentlichen Diskurs erst ein Schuldspruch einen Menschen zum Täter macht. Die öffentliche Aussetzung und das „An den Pranger Stellen“ durch nicht namentlich zu nennende Print- und Onlinemedien sind aus liberaler Perspektive aufs Schärfste zu verurteilen.

Ein liberales Fazit

Liberale haben sich zu fragen, ob und inwiefern man Menschen ihr Recht auf eine zweite Chance verwehrt. Diese Abwägung legt einen höchst-individuellen Wertekompass zugrunde, sollte aber stets abseits von persönlicher Betroffenheit und Emotionalität vorgenommen werden. Es ist in keiner Weise verwerflich, im Bereich bestimmter Deliktsarten als Individuum den Drang nach Vergeltungsjustiz zu verspüren. Dennoch muss ein Staat der Chancen gerade Menschen, die auf den ersten Blick ihren Anspruch auf Partizipation verwirkt haben, immer und immer wieder ein Angebot zur Resozialisierung bereiten.


Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung des Gastautors wider.


Gastautor

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