Systemfehler: Wie die politische Kultur der USA so wurde, wie sie nie sein sollte

Die politische Kultur der USA ist am Ende. Das Land ist gespalten – Wie konnte es dazu kommen? Eine Reise durch die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika gibt Antworten.

2020 hat uns neben Corona ein Thema besonders gefesselt: Die US-Präsidentschaftswahl. Die Frage „Werden es noch weitere vier Jahre Donald Trump?“ hat die Nachrichten und die sozialen Medien dominiert – und die Freude, als schließlich klar war, dass Joe Biden der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird, wirkte beinahe, als wäre Biden nun unser Präsident. Natürlich hat der Ausgang auch Einfluss auf Deutschland – die USA sind viele Jahre ein verlässlicher Partner gewesen, und die Hoffnung ist groß, existierende Differenzen mit einer Regierung Biden beilegen zu können, nachdem die Kommunikation die letzten vier Jahre doch recht unterkühlt ablief. Wenn wir das innen- und außenpolitische Verhalten der USA beobachten, sehen die meisten ein Land, das unseren europäischen Staaten auf den ersten Blick recht ähnlich sieht. Und hier liegt der erste Denkfehler: Vorurteile und Stereotypen prägen unser Bild der USA – Distanz? Fehlanzeige; weshalb wir die kultartige Begeisterung für Donald Trump oft nur kopfschüttelnd und verständnislos hinnehmen.1

Nichtsdestotrotz lohnt es sich, dort einen genaueren Blick hinzuwerfen, wo unsere Verwirrtheit und unsere Fragen am größten zu sein scheinen: Was läuft „falsch“ in Amerika? Wieso scheint dieses Land so tief gespalten zu sein? 

Die Antwort lautet nicht Donald Trump – auch, wenn er die extreme Polarisierung in den USA erheblich vorangetrieben hat und damit zum Gesicht der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft wurde. Ihren traurigen Höhepunkt fand diese Entwicklung am 6. Januar 2021, als Anhänger des abgewählten Präsidenten gewaltsam in das Kapitol eindrangen. Trump ist jedoch nur ein Glied in einer langen Kette von Faktoren. Blicken wir zurück:

Die USA sollten eines nie werden – wie die absolutistischen europäischen Staaten des 18. Jahrhunderts, von denen sich die Gründerväter abgrenzen wollten. Das Prinzip der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative sowie das Prinzip der „Checks and Balances“ sollten stets die Freiheit aller Amerikaner:innen gewährleisten und verhindern, dass einzelne Personen zu mächtig werden. Aufgrund der föderalen Struktur der USA existieren zwei Systeme der Machtkontrolle – eines innerhalb des jeweiligen Bundesstaates, und eines auf Bundesebene. Legislative und Exekutive sind in den USA relativ streng getrennt. Sie werden nicht nur durch verschiedene Wahlakte bestimmt, sondern konkurrieren miteinander und kontrollieren sich gegenseitig. Der US-Kongress übernimmt nicht automatisch die Agenda des Präsidenten, selbst wenn beide Kammern des Kongresses unter der Kontrolle der Partei des Präsidenten stehen. Gewaltenverschränkung existiert dort, wo sie zur Machtkontrolle nötig ist: Die Judikative kann Gesetzesvorschläge für rechts- oder verfassungswidrig erklären, der Präsident kann sie durch ein Vetorecht behindern; der Senat, also die Legislative, kann gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren bei schweren Verfehlungen einleiten, zudem braucht der Präsident seine Zustimmung, um Personal für höhere Ämter zu benennen. Soviel zur Theorie. In der Praxis bietet dieses System, das Machtmissbrauch und Machtanhäufung unterbinden soll, viel Spielraum für Manipulation und Sabotage. Schuld daran ist die Tatsache, dass in der politischen Realität der USA lediglich zwei Parteien von Bedeutung sind: Republikaner und Demokraten. Die Drittparteien erscheinen neben den beiden Giganten bedeutungslos. Diese duale Parteienlandschaft hat die USA dahin geführt, wo sie heute stehen: zwei verhärtete Fronten mit unvereinbaren Vorstellungen, Idealen und Plänen. Beide sind nicht bereit, dem Gegner Zugeständnisse zu machen. Sie stehen sich in einem regelrechten Kulturkampf gegenüber, der nicht nur die Politik, sondern auch die Bevölkerung miteinschließt.2

Ihren Ursprung hat die Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten in den 1960ern, als es zu einer Neuausrichtung der Wähler:innen im Süden der USA kam: Die Demokraten setzten, trotz des Risikos einer innerparteilichen Spaltung, 1964/65 den Civil Rights Act und den Voting Rights Act durch und unterstützten damit die schwarze Bürgerrechtsbewegung bei der Beseitigung der Rassentrennung. Langfristig verloren so die Demokraten den konservativen Süden, die Republikaner wiederum ihre liberalen Zentren im Nordosten der USA. Beide Parteien wuchsen innerlich immer enger zusammen, dafür polarisierte der außerparteiliche Diskurs: Die Republikaner wuchsen in das Image der konservativen Partei, das der Gegner des big government und der Feinde des Sozialismus. Die amerikanische weiße Arbeiter- und Mittelklasse, die durch die Aufstände der afroamerikanischen Bevölkerung und die Friedensbewegung der Jugend Recht und Ordnung gefährdet sahen, fand hier ihre politische Heimat. Präsident Nixon instrumentalisierte schon damals, ganz wie heute Donald Trump, den Hass auf die Medien und das Feindbild der Demokraten als Elite, die keinen Respekt vor der Arbeiterklasse hätte. In dieser Entwicklung liegt der Grundstein für die strukturell günstige Machtposition der Republikaner. Die Demokraten wurden mit Beginn der 70er Jahre die liberalere Partei, die für soziale Gerechtigkeit und Frauen- sowie Minderheitenrechte eintritt und schloss damit die Lücke, die die Republikaner in der amerikanischen Gesellschaft offen gelassen hatten. Für eine gerechtere Demokratie in den USA war dieser Schritt unerlässlich, jedoch entfernten sich die Parteien und damit auch ihre jeweiligen Wähler:innen so ein weiteres Stück voneinander. Das Resultat ist ein tiefer Graben, der sowohl die Politik als auch die Bevölkerung teilt. Man vertritt entweder republikanische Werte und Überzeugungen, oder demokratische – andere politische Orientierungen spielen, auf die Gesamtmenge brachtet, kaum eine Rolle. Viel weiter entfernt könnten beide Pole nicht voneinander sein – und trotzdem scheint es so, als würden sie immer weiter auseinanderdriften. Die Gesellschaft besteht aus zwei Parallelgesellschaften, die kaum Verständnis für die jeweils andere Seite aufbringen können, und die politischen Parteien sabotieren sich gegenseitig. Für die Demokratie in den USA ist diese festgefahrene Misere eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Der Fortschritt der gesamten Nation kann dauerhaft lahmgelegt werden, nur weil man dem politischen Gegner aus Prinzip keine Zugeständnisse macht. In den USA keine hypothetische Bedrohung, sondern Alltag.3

Bis zu den Stichwahlen in Georgia am 5. Januar 2021 war unklar, ob Präsident Biden zu Beginn seiner Amtszeit mit einem Senat würde arbeiten müssen, der im besten Falle für die Demokraten 50:50 aufgestellt gewesen wäre, oder aber 52:48 von den Republikanern dominiert worden wäre. Letzteres hätte für ihn bedeutet, dass seine politischen Vorhaben aus parteipolitischen Interessen heraus hätten blockiert werden können. Mit der Wahl der zwei demokratischen Senatoren Raphael Warnock und Jon Ossoff hatten die Demokraten Glück: im Falle eines Patts kommt es auf die Stimme der Vorsitzenden des Senats, Vizepräsidentin Kamala Harris, an. Somit befinden sie sich sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat in einer knappen Mehrheitsposition. Bis zu den Midterms sollten die Demokraten damit fähig sein, weitestgehend in ihrem Sinne zu regieren. 

Der Sinn und Zweck des politischen Systems der USA ist es ursprünglich gewesen, Machtmissbrauch zu verhindern und ausgewogene Verhältnisse zu schaffen. Aufgrund des inoffiziellen Zwei-Parteien-Systems, in dem third parties faktisch keine Rolle spielen, und einer fehlenden Meinungs- und Positionsvielfalt der politischen Akteure hat sich das politische System in einen Schauplatz des Kulturkampfes verwandelt. Demokratische Prozesse werden schlicht stillgelegt, wenn es nicht bald zu einer grundlegenden Trendwende in der politischen Kultur der USA kommt. 

Joe Biden hat sich vorgenommen, gegen die politischen Grabenkämpfe vorzugehen. Er will ein Präsident für alle Amerikaner:innen sein – doch so lange die Staatsbürger:innen in komplett unterschiedlichen, durch die Medien geprägten Realitäten leben, scheint dies nahezu undenkbar. Was ist mit den Anhängern Trumps, die sich zu Unrecht mit einem demokratischen Präsidenten konfrontiert sehen und Wahlbetrug wittern? 

Republikaner und Demokraten müssen es schaffen, ihren Kulturkampf beizulegen, zum Wohle der amerikanischen Demokratie – damit diese auch in Zukunft noch real existiert, und nicht nur auf dem Papier. Statt weiter Öl ins Feuer zu gießen, müssen sich die republikanischen Spitzenpolitiker nun kooperativ zeigen. Der allgemeine Ton darf nicht noch schärfer werden, und es darf nicht noch mehr gegenseitiges Vertrauen zerstört werden – nicht, dass von diesem noch viel übrig wäre. 

Wenn sich auf der Bundesebene etwas bewegt und gemeinsam Politik gemacht wird, anstatt gegeneinander – dann wächst die Bevölkerung vielleicht wieder ein Stückchen enger zusammen. Die erste moderne Demokratie der Welt steht an einem Scheideweg – und wir können nur hoffen, dass sie sich ihre demokratische Seele bewahrt, der wir Europäer:innen viel zu verdanken haben. 


Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung der Gastautorin wider.


Gastautorin
  1. Vgl. für eine weiterführende Differenzierung von Europa und den USA Lösche, Peter, Einführung: Die USA sind anders. 02.10.2008, https://www.bpb.de/internationa-les/amerika/usa/10636/einfuehrung-die-usa-sind-anders?p=all.[]
  2. Vgl. Lösche, Peter, Einführung: Die USA sind anders. 02.10.2008, https://www.bpb.de/internationales/amerika/usa/10636/einfuehrung-die-usa-sind-anders?p=all; vgl. Lütjen, Torben, Die große Entzweiung. Wie Amerika in politische Echokammern zerfiel, 28.04.2017, http://www.bpb.de/apuz/247359/wie-amerika-in-politische-echokammern-zerfiel.[]
  3. Vgl. Lütjen, Torben, Die große Entzweiung. Wie Amerika in politische Echokammern zerfiel, 28.04.2017, http://www.bpb.de/apuz/247359/wie-amerika-in-politische-echokammern-zerfiel; vgl. auch für weitere Informationen Lütjen, Torben, Die Politik der Echokammer. Wisconsin und die ideologische Polarisierung der USA, Bielefeld 2016 sowie Lütjen, Torben, Die Republikaner: Partei der Extreme. Über die Implosion des amerikanischen Konservativismus, Bielefeld 2016. []

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