Israel hat sich bereits jetzt den Titel des Impf-Weltmeisters gesichert. Selbst mitten in einer Regierungskrise nebst Auflösung des Parlaments und anberaumter Neuwahlen im März steht die einzige Demokratie im Nahen Osten im internationalen Vergleich einsam an der Spitze der COVID-19-Impfstatistiken. Über den Gedanken an eine Impfpflicht wird man dort vermutlich nur müde lächeln. Zu hoch ist die Impfbereitschaft, und dieser Nachfrage kann auch abgeholfen werden. Der Weg zur Herdenimmunität durch Impfung ist dort kein weiter mehr.
Heiße Luft
Etwa 2.700 Kilometer nördlich von Jerusalem befindet sich die bayrische Staatskanzlei – die dortigen Vorgänge sind mit den israelischen jedoch nicht vergleichbar, sondern erinnern eher an den letzten Auftritt des lokalen Fußballvereins im DFB-Pokal (Ausscheiden in der 2. Hauptrunde bei Holstein Kiel, Anm. d. Red.). Ministerpräsident Söder (CSU) könnte es überhaupt nicht eiliger haben, auf die bestehenden harten Maßnahmen noch härtere draufzusetzen – 15-Kilometer-Radius, kurzfristig eingeführte FFP2-Maskenpflicht, what’s next? Natürlich, die Impfpflicht!
Nachdem Meldungen die Runde machten, wonach die Impfbereitschaft beim Pflegepersonal geringer war als erwartet, fiel dem bayrischen Landesvater nichts Besseres ein, als gleich mal eine Debatte über eine Impfpflicht für Krankenhaus- und Heimpersonal anzustoßen. Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU), der sich schon seit längerem immer wieder gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hatte, und diverse andere Unionspolitiker bügelten Söders Vorschlag zwar gleich wieder ab – aber der Gedanke war in der Welt. Aber war hier der Wunsch Vater des Gedanken? Das bleibt Spekulation – es ist jedoch eine weitere Folge in der Reihe „Corona-Kommunikation für Dummies“. Und die ist der Dünger, auf dem Aluhüte wachsen.
Impfpflicht ohne Impfstoff
Eigentlich ist die ganze Impfpflicht-Kontroverse aber nichts als eine Scheindebatte. Die Probleme beim Impfen liegen derzeit ganz woanders als bei der Impfbereitschaft – es scheitert bereits an der Verfügbarkeit der Impfstoffe. Nachdem man sich in der Europäischen Union für eine gemeinsame Bestellaktion entschieden hatte, offenbart sich nun, dass dieser Weg kein besonders glorreicher war. Eher wird der europäische Gedanke so in seinem Ansehen beschädigt als gestärkt. Eigentlich widerspricht es ihm sogar, soll doch gerade der Wettbewerb im Binnenmarkt für Fortschritt sorgen und nicht eine Brüsseler Zentralverwaltungswirtschaft. Zu allem Überfluss ließ die sich dann auch noch von nationalen Sonderwünschen wie der von Frankreich beeinflussten Bestellung des voraussichtlich nicht konkurrenzfähigen Sanofi-Impfstoffs leiten. Kurz gesagt handelt es sich um Symbolpolitik auf dem Rücken der Unionsbürger, die das Ende der Pandemie herbeisehnen.
Als die ersten Impfdosen von BioNTech / Pfizer in Nordrhein-Westfalen eintrafen, feierte die Staatskanzlei dies mit einem Video auf Twitter. Die Freude, die beim Ansehen aufkommen sollte, erschöpfte sich allerdings in einem müden Lächeln verbunden mit der Sorge, wie es weitergehen würde: Eine mickrige Euro-Palette mit zwei Kartons Impfstoff wurde ausgeladen – für ein Bundesland mit knapp 18 Millionen Einwohnern erschien das reichlich wenig.
Nun laufen die Impfungen seit einigen Wochen schleppend an. Berichte wie die aus Berlin, wo „übriggebliebener“ (ja, das ist ein Euphemismus) Impfstoff vernichtet werden musste, stimmen auch nicht gerade hoffnungsvoll. Wie also soll eine Impfpflicht in der Realität überhaupt aussehen? Wer nicht geimpft ist, darf nicht mehr zur Arbeit, in die Schule oder zur Uni, bis ihm der gütige Vater Staat erlaubt, sich irgendwann doch impfen zu lassen?
Ja, viele Maßnahmen gegen die Pandemie mögen undurchdacht, widersprüchlich, ungerecht oder schlicht überzogen sein. Ja, es gibt auf vielen Ebenen massives Politik- und Kommunikationsversagen. Aber eine solche Impfpflicht wird nicht kommen: Sie wäre der Todesstoß für Wirtschaft und Bildung und ein völlig unverhältnismäßiger Eingriff in die persönliche Freiheit, das weiß auch die Bundesregierung. Und sie wäre niemandem ernsthaft vermittelbar – man bedenke auch, dass im Herbst 2021 eine Bundestagswahl ansteht.
Was wäre, wenn…?
Aber was, wenn nun doch der Fall eintritt, dass sich plötzlich eine Menge Impfstoff auftut, die in Deutschland und der EU frei verteilt werden kann? Brauchen wir die Impfpflicht? Die Antwort ist ein klares Nein. Ab dem Moment, wo der Impfstoff frei verfügbar und für jedermann zugänglich ist, liegt es auch in jedermanns freien Verantwortung, ob er sich impfen lassen oder lieber das Risiko einer möglichen COVID-19-Infektion eingehen möchte. Zu diesem Zeitpunkt müssen – das steht völlig außer Frage – auch sämtliche Einschränkungen restlos entfallen.
Selbst wenn die Impfbereitschaft nicht auf einem solchen Niveau liegt, dass die Herdenimmunität allein durch Impfung erreicht werden könnte (etwa 2/3 der Bevölkerung), gibt es für eine Impfpflicht keinen Grund. Zunächst ist zum derzeitigen Zeitpunkt völlig unklar, wie hoch die bereits bestehende Immunitätsrate durch Infektion ist. Laut Johns Hopkins University waren bislang etwa 2 Millionen Deutsche mit dem Virus infiziert, also immerhin etwa 2,4 % der Bevölkerung – eine beträchtliche Dunkelziffer dürfte hinzukommen. Ziel der Corona-Maßnahmen war es außerdem stets, die Krankenhäuser unter ihrer Belastungsgrenze zu halten – dies erreicht man auch, wenn sich nur ein Teil der Bevölkerung impfen lässt. Einen „virologischen Imperativ“, nach dem man jede einzelne Infektion verhindern müsste, gibt es nicht – er wäre auch schlicht verfassungswidrig, da fernab jeder Verhältnismäßigkeit.
Ausblick
Die Impfpflicht wird nicht kommen – sie kann es gar nicht, solange der Impfstoff nicht breit verfügbar ist. Und sobald er das ist, wird er jeden Gedanken an sie überflüssig machen, davon bin ich überzeugt. Illiberale Methoden töten keine Viren ab – Eigenverantwortung dagegen muss der Weg zum Ziel sein, das zu schaffen, was Israel uns bereits heute vormacht.
Zum Schluss darf der Appell nicht fehlen: Lasst euch impfen, sobald es für euch möglich ist!