Ein „Kanzlertriell“, live übertragen auf YouTube und der Streaming-Plattform Twitch – die Idee klingt, auch für mich, erst einmal spannend. Laschet, Baerbock und Scholz auf ungewohntem Terrain, vor ungewohntem Publikum. „Volksnah“ hätte man das vielleicht einmal genannt.
Genau diese Idee hatten der Journalist Tilo Jung und der YouTuber Rezo. Sie holten die Zeit ins Boot und fragten die Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen an. Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) sagten zu – von CDU-Kandidat Laschet gab es eine Absage. Rezo machte das Ganze in seinem Twitch-Stream publik, eine Aufzeichnung findet sich auf seinem YouTube-Kanal.
Laschet unter Linken
Hätte Laschet diese Einladung annehmen sollen? Es klingt zunächst wie eine einmalige Chance, einer breiten jungen Wählerschicht seine Inhalte näherzubringen. Das Ganze auf einer Plattform, die viele junge Menschen besser erreicht als lineares Fernsehen und Zeitungen. So ähnlich stellt es auch Rezo in seinem Stream dar und kritisiert Laschet für die Absage.
Dabei ist die Wahrheit: Laschet hätte in einem solchen Schlagabtausch nur verlieren können. Es gibt nichts für ihn und die CDU zu gewinnen, wenn er mit zwei politisch links von ihm stehenden Kontrahenten vor zwei linken Moderatoren diskutiert. Dass Rezo von der CDU nichts hält, ist kein Geheimnis: Sein Video „Die Zerstörung der CDU“ vor der Europawahl 2019 ist, ebenso wie die grenzenlos dilettantische Reaktion der CDU darauf, unvergessen, ebenso der anschließende Aufruf mit anderen YouTubern, nicht Union oder SPD zu wählen. Und im Stream philosophierte er bereits über die Möglichkeit einer „Zerstörung der CDU 2.0“.
Im Gegensatz zu Rezo ist Jung Journalist – doch einer, der aus seiner Haltung und seinen Ansichten kein Geheimnis macht und auch nicht versucht, den Anschein von Neutralität zu wahren. Dennoch ist seine Arbeit, gerade in der Bundespressekonferenz, aber auch in seinen ausführlichen Interviews mit Politikerinnen und Politikern, bisweilen durchaus wertvoll – im Gegensatz zu seiner fragwürdigen Nahost-„Berichterstattung“.
Jedenfalls ist klar, wo ein solches „Triell“ hingeführt hätte: Laschet, als CDU-Politiker in der Community auf YouTube und Twitch spätestens seit „Artikel 13“ höchst kritisch beäugt, stünde mit Baerbock einer vergleichsweise jungen – und vor allem: grünen – Kandidatin gegenüber. Scholz würde sich irgendwie durchwinden und von den Moderatoren auch sicher nicht so hart angegangen wie Laschet. Letzterer und seine Partei haben zudem in den wohl entscheidenden Themen – Digitales und Netzpolitik, Klimakrise und Bildung – nicht gerade ihre großen Stärken. Nicht umsonst verantwortet in Laschets NRW-Koalition die FDP einen Großteil davon. Und Armin Laschet hat auch nicht die rhetorischen Fähigkeiten eines Christian Lindner oder Gregor Gysi, mit denen er sich in einer solchen Konstellation über Wasser halten könnte.
Laschet hätte am Ende – wenn es für ihn gut laufen würde – nichts gewonnen. Schlimmstenfalls stünde er am nächsten Tag auf Seite 1 – auch in den Analogmedien. Die Zeit ohnehin als Medienpartner an Bord, auch die anderen Verlagshäuser sind längst in der digitalen Welt angekommen – man kann sich die Headlines bildlich vorstellen. Und so würde Armin Laschet, angetreten um, vergeblich, junge Wähler zu den Christdemokraten zu holen, am Ende wohlmöglich durch diesen Stunt bei den Älteren verlieren.
„Die jungen Generationen“
Kommen wir zu dem, was mich an Rezos Aktion viel mehr stört. Er bewertet Laschets Absage folgendermaßen:
Wenn man sich dann für diese Generationen basically – und das strahlt das, finde ich, aus – nicht mal einen Abend freinimmt für den ganzen Wahlkampf, dann glaub ich einfach ist das ein schlechtes Zeichen.
Rezo
Mit den jungen Generationen, das betont er mehrfach, meint er die Menschen „U30“. Diese verortet er in einem Großteil ihrer Freizeit auf Twitch, beim Ansehen von Gaming- oder anderen Streams. Laut twitchtracker.com hat Twitch global (!) tägliche Zuschauerzahlen im einstelligen Millionenbereich. Dass die regelmäßigen Twitch-Zuschauer, betrachtet man nur Deutsche unter 30, sicher nicht die Mehrheit ausmachen dürften, erklärt sich von selbst.
Sicher, viele würden auch des Events wegen einschalten. Doch Rezo richtet sich hier primär an eine Netz-, eine Gaming-, eine Twitch- und YouTube-Community. In seinen bisherigen Videos zu politischen Themen kommen nur Grüne und Linke gut weg. In Verbindung mit Tilo Jung richtet man sich auch an eine links-woke Blase, die nichts mit der Lebensrealität vieler junger Menschen zu tun hat. Das wird von Rezo geframed als ein Event „für diese Generationen“, also Millenials und Gen Z. Er inszeniert sich damit als Interessenvertreter einer ganzen Generation.
Dieser von ihm konstruierte Vertretungsanspruch hat aber nichts mit der Realität zu tun. Längst nicht alle jungen Menschen sind links oder grün. Längst nicht alle jungen Menschen interessieren sich für Gaming und schauen in ihrer Freizeit Streams auf Twitch. Junge Menschen ticken auch liberal oder konservativ – oder interessieren sich für andere Freizeitthemen als Rezos Community.
Und wenn junge Menschen politisch interessiert sind, politische Themen sie umtreiben, sind sie das oft gar nicht aus einer ideologischen Idee heraus: Komme ich nachts sicher nach Hause, auch auf dem Land? Was ist mit der Digitalisierung in meiner Schule? Finde ich einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz mit einem ordentlichen Gehalt? Kann ich mir die Miete am Studienort leisten? Und wann sehe ich nach drei Online-Semestern eigentlich mal wieder einen Hörsaal von innen? Das sind Fragen, die viele junge Menschen umtreiben – doch sie kommen in Rezos Vorstellung gar nicht vor.
Rezo stellt aber zutreffend fest, es gebe einen „Drive“ zum Politisch-Sein unter jungen Menschen. Das stimmt, und es ist begrüßenswert. Aber dieser „Drive“ ist, wie gezeigt, nicht nur Fridays for Future und Artikel 13. Ja, Klimaschutz ist wichtig und ein drängendes Thema unserer Zeit. Und ja, die Urheberrechtsreform ist und bleibt eine Gefahr für das freie Internet. Für diese Themen setze ich mich auch als Liberaler ein.
Und trotzdem stört mich Rezos kollektivistischer Repräsentationsanspruch massiv. Auch ich spiele Videospiele, auch ich schaue Twitch-Streams und YouTube-Videos. Aber als klassisch-liberal denkender junger Mensch habe ich keine Lust, mich dem von Rezo projizierten Kollektiv einer links und grün eingestellten „jungen Generation“ unterzuordnen. „Die jungen Generationen“ sind kein Kollektiv, sondern eine Menge Individuen mit all ihren verschiedenen Vorstellungen, Weltanschauungen, Zielen und Ideen.
Und daraus wachsen Chancen, daraus wächst eine starke Zukunft. Nicht aus selbsternannten Weltverbesserern, die anderen die Welt erklären wollen. Sorry, Rezo.