Drei Lehren aus der US-Wahl

Die diesjährige US-Präsidentschaftwahl war sicherlich eine der spannendsten aller Zeiten. Nun, wenige Tage danach kann man bereits einige Lehren aus dem Wahlsieg Joe Bidens ziehen.

Das US-amerikanische Volk hat gewählt und nun steht es also fest: Joe Biden wird neuer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wahl war ereignisreicher, als es viele – inklusive mir selbst – prognostiziert haben. Dennoch konnte sich am Ende der Herausforderer recht deutlich gegen den Amtsinhaber durchsetzen.

Im Folgenden möchte ich gerne die für mich drei wichtigsten Lehren aus der US-Präsidentschaftswahl erläutern:

1. Are Identity Politics Dead?

Eine der Geschichten der diesjährigen Wahlnacht war das überraschend gute Abschneiden Donald Trumps in Florida, einem Staat in dem Joe Biden eigentlich klar favorisiert war. Dies wurde besonders im County Miami Dade deutlich, einem ethnisch diversen County, in dem Hispanics die Mehrheit der Wähler darstellen. Trump konnte sein Ergebnis in diesem County gegenüber 2016 gerade bei Latino Voters signifikant verbessern1. Trumps Sieg in Florida ist zwar nicht alleine damit zu erklären, dennoch wäre dieser Sieg ohne seine gute Performance in dieser demografischen Gruppe niemals so deutlich ausgefallen.

Generell konnte Trump sein Ergebnis gerade bei demografischen Gruppen verbessern, bei denen ihm dies weniger zugetraut wurde, z.B. bei Frauen, Schwarzen und Latinos2. Auch in Kalifornien zeigte sich diese Entwicklung bei Asiaten und Latinos – Trump konnte gegenüber 2016 teilweise Stimmenzuwächse im stark zweistelligen Bereich bezüglich der Prozentpunkte vorweisen3. Bei weißen Männern verschlechterte sich Trump sogar am deutlichsten – ein Narrativ, gegensätzlich zum Begriff White Identity Polictics4 5, mit dem Trumps politischer Stil oft belegt wurde.

Es wird spannend zu beobachten sein, ob tiefergehende Analysen bestätigen können, dass diese Gruppierungen klassisch linke Identitätspolitik immer mehr ablehnen. Dies erscheint aktuell zwar wahrscheinlich – zumindest bezüglich Identitätspolitik der heutigen Form6 – allerdings kann dies noch nicht eindeutig bestätigt werden. Dass ausgerechnet ein Populist wie Donald Trump bei diesen demografischen Gruppen Erfolge einfahren kann, gibt zu denken. Dieses Thema wird in den nächsten Jahren genügend Anlässe für neue Betrachtungen7 linker Identitätspolitik liefern.

2. Is there really a thing like “electability”?

Joe Bidens Kampagne im Rennen um die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat fußte sehr stark auf der Behauptung, er sei für Wähler der Mitte zwischen Demokraten und Republikanern (und Never-Trump-Republikanern) der anschlussfähigste Kandidat, oft ausgedrückt mit dem Wort Electability. In dieser Eindeutigkeit ist diese Behauptung sehr zweifelhaft. Laut politischen Plattformen wie Fivethirtyeight um Nate Silver legen quantitative Daten einen lediglich geringen Vorteil für Joe Biden nahe8 9.

Nach Joe Bidens Sieg lässt sich leicht behaupten, er habe diese Behauptung ja bewiesen. Allerdings macht man es sich hiermit zu einfach. Natürlich ist es wichtig, dass ein Kandidat zuerst einmal eine breite Wählerkoalition verschiedenster Gruppen ansprechen kann. Eine Voraussetzung, die zum Beispiel Pete Buttigieg nie erfüllen konnte, der fast ausschließlich weiße Wählerschichten ansprach. Auch Elizabeth Warrens Kampagne scheiterte an mangelnder Diversität ihrer Anhängerschaft, da sie fast nur hochgebildete Wählerschichten ansprach.

Bernie Sanders konnte allerdings eine diverse Wählerkoalition vorweisen. Ob dies bei der General Election gegenüber Trump immer noch der Fall gewesen wäre, ist mindestens unsicher. Wo zusätzliche Stimmengewinne durch Sanders möglich gewesen wären, ist unklar – gerade angesichts einer hohen Wahlbeteiligung und guten Mobilisierung wichtiger Wählerschichten von Joe Biden. Die Frage ist natürlich, wie viele Stimmen ein deutlich linkerer Kandidat wie Sanders in der „Mitte“ verloren hätte und welche zusätzlichen Wähler er angesprochen hätte. 2016 hatte Donald Trump viele Sanders-Wähler aus den Vorwahlen bei der General Election für sich gewinnen können10. Auch vor der Wahl 2020 legten sich die Unterstützer von Sanders im Vergleich denen anderer Kandidaten am wenigsten klar fest, nicht für Trump zu stimmen11.

Dies wirft die Frage auf, worin die Gemeinsamkeit zwischen Trump und Sanders liegt. Die Antwort ist recht einfach: Beide bauen ihre Kampagnen massiv auf populistischem Gedankengut auf: stark ausgeprägten Elitenfeindlichkeit, der Behauptung, den wahren Volkswillen zu vertreten, und weiteren klassisch populistischen Merkmalen. Die demokratische Partei hätte mit dem Entschluss, selbst den Populisten Sanders neben dem Populisten Trump ins Rennen zu schicken, ihre Integrität aufs Spiel gesetzt. Denn auch wenn man mit Sanders ein vielleicht ähnlich gutes Ergebnis erzielt hätte – was zu bezweifeln ist – so stellt sich die Frage: zu welchem Preis?

3. No, the polls & predictions were not “wrong”

In der Wahlnacht gab es – wie auch 2016 – besonders viel Häme gegenüber Prognosen und Umfragen zur US-Wahl. Im Kern ist die Wahl 2020 allerdings nicht der finale Beweis, dass diese Prognosen falsch sind, sondern dass kompetente Prognosen, wie die von Nate Silver und Fivethirtyeight, wieder einmal genau richtig lagen.

Letztendlich sollte erwähnt werden, dass der Favorit Joe Biden ja die Wahl gewonnen hat und Nate Silver den Sieger in allen Bundesstaaten bis auf zwei (North Carolina und Florida) richtig vorhergesagt hat. Auch in meiner Prognose sah das Electoral College besser für Joe Biden aus, allerdings lag auch ich nur in vier Staaten falsch (North Carolina, Florida, Georgia, Ohio).

Sicherlich ist es richtig, dass es besonders in Staaten wie Florida einen Umfragefehler gab. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass solche Umfragen auch natürliche Umfragefehler aufweisen können. Zum Beispiel gab es auch in einem Staat wie Iowa vor der Wahl ganz unterschiedliche Umfragen – die einen sahen Biden knapp vorne, die anderen Trump. Ein gutes Modell rechnet diese Umfragefehler quasi mit ein. Nur dieses Mal wirkte der Umfragefehler größer, da die Ergebnisse fast alle für Trump vor der Auszählung der Briefwahlstimmen günstiger aussahen, als sie am Ende waren. Die einzige Ausnahme war Arizona, wo das Rennen mit fortlaufender Auszählung wieder enger wurde12.

Zudem sollte man beachten, dass gewisse Electoral-College-Kombinationen wahrscheinlicher sind als andere. Es gab einige Kombinationen, die in der Wahlprognose von Nate Silver zu den wahrscheinlichsten zählten13, bei denen Biden recht knapp gewinnt – ähnlich dem eingetretenen Szenario. Wenn eine EC Karte die für besonders wahrscheinlich gehalten wird sich als tatsächlicher Wahlausgang herausstellt, können die Prognosen nicht so falsch gewesen sein. Die Behauptung, dass die Performance dieser Wahlprognosen schlecht und die Vorhersagen unseriös gewesen seien, ist nicht haltbar, einfach widerlegbar und am Ende selbst unseriös.

Fazit

Auch diese US-Präsidentschaftswahl hat wieder für Diskussionsstoff für die nächsten Jahre gesorgt. Oben habe ich meine aktuell drei wichtigsten Lehren aus der Wahl dargestellt. Wenn in den nächsten Wochen die amtlichen Ergebnisse und weitere Auswertungen der Wahlergebnisse zur Verfügung stehen, werden wir sicherlich noch mehr über die Hintergründe dieser spannenden Wahl erfahren. Wir werden sehen, ob die Republikaner und die Demokraten aus dieser Wahl die richtigen Schlüsse ziehen können und wie stark die beiden Parteien sich für die Midterms 2022 und die nächste General Election 2024 aufstellen werden.

  1. https://www.tampabay.com/news/florida-politics/elections/2020/11/04/trump-wins-florida-with-lift-from-hispanic-voters-in-miami-dade-county/[]
  2. https://www.wsj.com/articles/tuesdays-big-loser-identity-politics-11604535714[]
  3. https://twitter.com/RyanGirdusky/status/1326190869163225090[]
  4. https://washingtonmonthly.com/magazine/july-august-2019/the-rise-of-white-identity-politics/[]
  5. https://fivethirtyeight.com/features/is-trumps-use-of-white-identity-politics-strategic/[]
  6. https://www.wsws.org/en/articles/2020/11/06/pers-n06.html[]
  7. https://www.latimes.com/opinion/story/2020-11-08/identity-politics-2020-election-born-again[]
  8. https://fivethirtyeight.com/features/democrats-think-biden-is-electable-but-hes-not-everyones-first-choice/[]
  9. https://fivethirtyeight.com/features/youll-never-know-which-candidate-is-electable/[]
  10. https://edition.cnn.com/2019/03/05/politics/bernie-trump-voters/index.html[]
  11. https://eu.usatoday.com/story/news/politics/elections/2020/03/29/bernie-sanders-supporters-vote-trump-over-biden-poll/2936124001/[]
  12. https://www.nytimes.com/interactive/2020/11/09/us/arizona-election-battleground-state-counties.html[]
  13. zu sehen im Abschnitt: „Every outcome in our simulations“ unter https://projects.fivethirtyeight.com/2020-election-forecast/[]

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