Die Geschichte Hongkongs ist geprägt von der Tragik enttäuschter, einst berechtigter Hoffnung – Hongkong gehen die Chancen aus. Die Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China (fortan VRC), der unter dem Dekret “1 Land – 2 Systeme” relative Autonomie eingeräumt sein sollte, ist seit dem Inkrafttreten des „umstrittenen“ Sicherheitsgesetzes noch mehr in Aufruhr als sonst. Die Bundesregierung hat trotz verwerflicher, relativer Untätigkeit immerhin das Auslieferungsabkommen mit der Sonderverwaltungsregion Hongkong aufgekündigt und die VRC gemeinsam mit anderen Ländern denunziert.
Eine andere Perspektive
Die Tragik mag einigen gar nicht bewusst sein – doch sie entspringt dem Auf und Ab eines steinigen Weges zur Demokratie. Als Deutsche halten wir demokratische Zustände hier und undemokratische Zustände da für selbstverständlicher als uns bewusst und lieb ist. Wir mögen diskutieren, ob die AfD eine Bedrohung für unsere Demokratie darstellt, doch von einem wirklichen Sturz der FDGO gehen wir nicht aus. Auf der anderen Seite nehmen wir nicht wirklich an, dass Xi Jinping in den nächsten Monaten abdanken und einem wirklich demokratischen, vereinten China weichen wird. Doch Hongkong, der „duftende Hafen“ zwischen dem “Las Vegas des Ostens”, Macau, und dem “Silicon Valley der VRC”, Shenzhen, bewegt sich seit 24 Jahren auf einem nebulösen Mittelweg: Wohlstand, Demokratie und Freiheit immer zum Greifen nah, doch ein drohendes Ultimatum am Horizont.
Seit dem 17. Jahrhundert war Hongkong Handelsstützpunkt der britischen Ostindien-Kompanie. Im Zuge des ersten Opiumkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Hongkong als kritischer Umschlagplatz zuerst besetzt und dann zur britischen Kolonie. Bis zum zweiten Weltkrieg folgten rigorose Ausbeutung und Unterdrückung der Kolonie. Japanische Besetzung, Konflikte zwischen Großbritannien und der VRC, Wiederherstellung der Kolonialherrschaft, tödliche Aufstände in den Siebzigern. 1982 starteten Verhandlungen über die Zukunft des Territoriums. Da die VRC Hongkong nicht als britisches Gebiet anerkennen wollte und eine Resolution der Vereinten Nationen die Rückgabe des Gebiets an die VRC ohnehin vorsah, wurde 1984 die Doktrin “Ein Land, zwei Systeme” unterzeichnet. 1997 sollte Hongkong als Sonderverwaltungszone an die Volksrepublik übergeben werden. 1994 erließ der noch amtierende Gouverneur das künftige Wahlsystem. Das demokratisch-marktwirtschaftliche System Hongkongs sollte für mindestens 50 weitere Jahre neben dem autoritär-sozialistischen der VRC bestehen bleiben. Eine Stadt als Poster Child freiheitlicher, westlicher Werte vor den Mauern des Autoritarismus.
„Unvollständige Demokratie“
Der Antritt Hongkongs zur Demokratie erfolgte Anfang der 60er Jahre mit Bestrebungen, freie Wahlen abzuhalten – diese scheiterten jedoch. Die ersten Wahlen erfolgten 1997 auf Basis des Hongkong Basic Law – der Hongkonger Verfassung. Es lässt sich aber leider nicht anders sagen: Die ehemaligen Kolonialherren haben mit dem Basic Law einen absoluten Bock geschossen. Um sich auch nach Rückgabe des Territoriums Einfluss zu bewahren, erhielt nicht jeder Bürger gleiches Stimmrecht. Der Legislativrat Hongkongs (LegCo) besteht aus 70 Abgeordneten. Davon wird nur die Hälfte frei gewählt. Die restlichen 35 Abgeordneten werden von 28 spezifischen Berufsgruppen wie Lehrern und Großunternehmern bestimmt.
Diese völlig hirnrissige „teil-demokratische“ Regelung sicherte Großbritannien ursprünglich etwas Einfluss – heute ist davon wenig geblieben. Großbritanniens Einfluss ist ganz einfach dem multinationaler Konglomerate gewichen – und dem der VRC. Stimmberechtigte Branchen sind jedenfalls unter anderem Gastronomie, Airlines und vor allem der Finanzsektor, auf den 130 Stimmen entfallen. Diese sind nicht auf 130, sondern 125 Wähler aufgeteilt. Lobbyismus spielt eine wichtige Rolle in jeder Demokratie, doch viel grotesker kann er kaum aussehen. Eine Änderung des Wahlrechts war auf 2017 datiert, wurde jedoch – wenig überraschend – mit 28 zu 8 Stimmen abgelehnt.
Hongkong war schon immer und ist immer noch von Problemen geplagt – ein reiches Land, eine Stadt mit Lebenshaltungskosten auf dem Level Dubais. Eine Stadt, in der 1,3 Millionen Menschen (Stand 2017) als „Cage People“ bezeichnet werden – Menschen, deren politischer Einfluss wie auch ihr Wohnraum von durchschnittlich zwei Kubikmetern nicht gegen den wohlhabenderer Bewohner Hongkongs aufzuwiegen ist. Menschen, über deren Schicksal erheblich von Großunternehmen entschieden wird, die ihren Sitz eigentlich in Paris (Axa) oder London (HSBC) haben. Menschen, deren Regierungschefin (Chief Executive), Carrie Lam, nicht durch das Volk Hongkongs gewählt wurde, sondern durch ein in Peking eingesetztes Wahlkomitee.
The Umbrella Movement
Die Proteste, deren Berichterstattungen und Bilder uns seit Jahren heimsuchen, sind auf diese Einflussnahme Pekings 2014 und das miserable Wahlsystem zurückzuführen. Das Umbrella Movement (dt. “Regenschirm-Bewegung”), in den Medien oft fälschlich als “Umbrella-Revolution” bezeichnet, war die bis dahin bekannteste Protestbewegung Hongkongs und hielt das Land über das ganze Jahr 2014 in Atem. Der Name der Bewegung ist durch die Regenschirme bedingt, die die Demonstranten zum Schutz gegen den Pfeffersprayeinsatz der Polizei mit sich trugen. Friedlichkeit war oberstes Gebot der Bewegung. So trugen die Demonstranten neben den üblichen Transparenten auch Entschuldigungen an Anwohner okkupierter Plätze mit sich.
Auch eine Revolution sollte nicht stattfinden: Am 24. Oktober 2014 erklommen Anhänger einen Felsen oberhalb Hongkongs und errichteten ein Banner mit der Aufschrift „Ich will ein echtes allgemeines Wahlrecht“ – es wurde schnell von der Regierung entfernt. Noch im selben Jahr gründete Joshua Wong, damals 16, gemeinsam mit Nathan Law, Agnes Chow und Ivan Lam die Partei Demosisto (chinesisch: „Steh für das Volk“) – als direkte Opposition zu Carrie Lam. Zentrales Bestreben der Partei: völlige Unabhängigkeit Hongkongs nach Ende des “Ein Land, zwei Systeme”-Dekrets im Jahr 2047.
Bei den LegCo Wahlen 2016 zog Nathan Law als Abgeordneter für Demosisto ins Parlament ein, wurde aber noch im selben Jahr von der Hongkonger Justiz schuldig gesprochen, die (friedlichen!) Proteste 2014 angeführt zu haben – ebenso wie Joshua Wong. Mit einer erneuten Verurteilung 2017 und darauffolgenden Auseinandersetzungen mit der Hongkonger Justiz verlor er sein Mandat.
2019 – Das sogenannte “Auslieferungsgesetz”
Währenddessen nutzte die Peking-nahe Regierung Lams jede Möglichkeit, Hongkong weiter in die Arme der Volksrepublik zu treiben. Das ist gelungen – Peking hat seine Finger heute fest um den Hals Hongkongs geschlossen. Zurückzuführen ist diese Entwicklung letztendlich auf einen Mord. Ein junger Bürger Hongkongs hatte seine Freundin im Urlaub in der Republik China (Taiwan) ermordet und den Mord sogar den Behörden in Hongkong gestanden. Das Fehlen eines Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommens zwischen Hongkong und der Republik China ließ die Strafverfolgungsbehörden ratlos – die Empörung in der Bevölkerung war enorm.
Lams Regierung nutzte die Gelegenheit, um mit der ausbleibenden Verurteilung ein Auslieferungsgesetz zu begründen – Auslieferung aber nicht an die Republik China, sondern an die VRC. Die folgenden Proteste waren die größten, die Hongkong seit 2014 gesehen hatte. Die Sorge: Das bis dato zwar nicht vor Ungerechtigkeit gefeite, aber immerhin unabhängige und recht liberale Rechtssystem Hongkongs könnte der VRC anheimfallen.
Von Juni 2019 bis Januar 2020 sammelten sich wöchentlich Hunderttausende bis Millionen von Bürgern auf den Straßen Hongkongs. Neben der Rücknahme des Auslieferungsgesetzes forderten die Demonstranten wie bereits das Umbrella Movement freie Wahlen von Parlament und Regierungschef, die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten und eine unabhängige Untersuchung des Vorgehens der Sicherheitsbehörden. “Paradoxerweise” führte das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen die vor allem anfangs völlig friedlichen Demonstranten zu immer fortwährender Eskalation – Tote, Verletzte, bürgerkriegsähnliche Zustände.
Zwar nahm Carrie Lam den Entwurf des Auslieferungsgesetzes im September 2019 zurück, doch die Demonstrationen hielten an. Das extrem gewalttätige Vorgehen der Polizei mit Wasserwerfern und Gummigeschossen ließ die Bürger Hongkongs um die Zukunft ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheit bangen – Demonstranten besuchten oft nicht einmal mit Knochenbrüchen Krankenhäuser. Man fürchtete, die Polizei würde Patientendaten einsehen. Noch im September richtete Joshua Wong einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU):
Die Deutschen haben im Kampf gegen den Autoritarismus während der 80er Jahre mutig an vorderster Front gestanden. Wie die gewaltfreien Demonstranten der Montags-Demos bringen wir unser Anliegen in die breite Öffentlichkeit und plädieren für demokratische Prinzipien. Uns steht eine diktatorische Macht gegenüber, die keine freiheitlichen Grundrechte zulässt und immer mehr gewalttätige Maßnahmen anwendet, mit Tendenz zu einem neuen Massaker wie am Tian’anmen-Platz. Wir Hongkonger waren privilegiert, Recht und Freiheit (wenn auch begrenzt und sich verschlechternd) zu genießen, welche von Ihren Mitbürgern in der DDR und anderen Teilen Europas erkämpft wurden. Heute können Sie uns in einem weiteren Kampf gegen die Unterdrückung der Freiheit helfen.
Joshua Wong
Währenddessen warnten staatliche Medien der VRC die Demonstranten vor weiteren Protesten. Hongkong sei unabtrennbarer Teil der VRC. Jeder Widerstand werde zerquetscht.
Auch in den folgenden Monaten strömten hunderttausende Demonstranten auf die Straßen. Bei den Kommunalwahlen im November 2019 legte die den Protestierenden nahe Pan-Demokratische Partei um 85% zu – von 124 auf 388 Sitze. Nach einem relativ ruhigen Dezember und turbulenterem Januar kam die Stadt aufgrund des Einzugs der COVID-19-Pandemie etwas zur Ruhe. Man merke – all dieser Protest geschah bis dato als Reaktion auf das Auslieferungsgesetz. Die heutige Tristesse des “duftenden Hafens” ist wiederum dem sogenannten Sicherheitsgesetz geschuldet.
2020 – Das sogenannte “Sicherheitsgesetz”
2003 hatte die Regierung Hongkongs zum ersten Mal einen Anlauf zum Erlass eines Sicherheitsgesetzes genommen – sie scheiterte jedoch. Seitdem geisterte die Idee, die Sorge, die Angst vor einem solchen Gesetz stets durch die Stadt. Doch nach 17 Jahren handelte es sich um nicht viel mehr als ein verblasstes Märchen. Ein Märchen, das vor etwas über einem halben Jahr schaurige Realität wurde.
Im Mai 2019 kündigte die Kommunistische Partei der VRC ein Sicherheitsgesetz für Hongkong an. Peking – nicht Hongkong. Carrie Lam äußerte sich bloß, sie sei erfreut und das Gesetz sei genau, was Hongkong bräuchte – ohne es je gelesen zu haben. Ein Gesetz völlig über die Köpfe jeglicher gewählter Volksvertreter hinweg. Ein Gesetz, das dermaßen vage formuliert ist, dass es jeglichen Ausspruch, jegliches Verhalten, das als “subversiv, separativ und terroristisch” gegenüber der VRC – erst sekundär gegenüber Hongkong – ausgelegt werden könnte, strafbar macht. Ein Gesetz, das der VRC erlaubt, Truppen in Hongkong einzusetzen und dort zu “ermitteln”. Ein Gesetz, das im Nationalkongress mit den Worten “Das nationale Sicherheitsgesetz ist das Damoklessschwert über dem Kopfe Hongkongs” verkündet wurde.
Bereits mit der Ankündigung wurden Social-Media-Accounts und Nachrichten gelöscht; Kontakte zur Presse abgebrochen. Die Republik China gestand Hongkonger Bürgern Asyl zu. Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Australien und Kanada verurteilten die VRC in einer öffentlichen Deklaration sofort, während die Proteste selbstverständlich wieder Fahrt aufnahmen.
Doch vergeblich. Zum 30. Juni 2020 wurde das sogenannte Sicherheitsgesetz im Nationalkongress verabschiedet – ein tückisches, totalitäres Schmierheft, in dessen Präambel ernsthaft behauptet wird, das System “Ein Land, zwei Systeme” aufrechterhalten zu wollen. Nur Stunden nach der Verkündung traten Nathan Law, Agnes Chow und Joshua Wong von ihren Positionen in Demosisto zurück. Die Partei löste sich noch am selben Tag auf. Die Unsicherheit, die sich am Morgen des folgenden 1. Juli in der Stadt breit gemacht hatte, war präzedenzlos. Wer in den Hafen trat, sah sich mit dem Anblick eines Schiffs mit großem rot-gelben Transparent konfrontiert. Darauf die Worte “Feiert das nationale Sicherheitsgesetz” – Propaganda der kommunistischen Partei, mitten in Hongkong.
Doch die Menschen ließen sich nicht einschüchtern. Noch nicht. Abertausende demonstrierten. 370 wurden festgenommen. Zehn davon aufgrund des neuen, sogenannten Sicherheitsgesetzes. Ein Einzelner dafür, eine “Free Hongkong”-Flagge in seinem Rucksack gehabt zu haben. Eine Flagge, die nie geschwenkt wurde; eine Meinung, die also nie öffentlich ausgedrückt wurde. Die Sicherheitsbehörden sind jetzt Hongkongs und Pekings Gedankenpolizei.1 Der 1. Juli ist übrigens Nationalfeiertag in Hongkong – quasi Unabhängigkeitstag. Ob er jemals wieder ernsthaft gefeiert werden wird, ist fraglich.
Für die im September 2020 anstehenden Wahlen wurden demokratische Kandidaten Stück für Stück ausgeschlossen. Angeblich seien sie Feinde der Verfassung Hongkongs. Unter den Ausgeschlossenen: Joshua Wong. Die Wahlen wurden auf 2021 verschoben. Nach dem forcierten Einsetzen einiger Peking-naher Abgeordneter im September traten zuerst ein paar wenige Abgeordnete und dann im November die gesamte pro-demokratische Regierungsfraktion zurück.
Remember Hongkong
Heute sind Joshua Wong und Agnes Chow inhaftiert. Nathan Law hat Asyl in den USA gefunden. Am 6. Januar 2021, im medialen Schatten der Stürmung des Kapitols in Washington D.C., werden 50 pro-demokratische Aktivisten verhaftet – die bis heute größte gezielte Verhaftungswelle in der Geschichte Hongkongs. Der 6. Januar 2021 geht als Omen des Untergangs der Freiheit in die Geschichte ein – weltweit. Erst vor wenigen Tagen erfolgten elf weitere Festnahmen. Wann es aufhören wird, weiß man wohl bloß in Peking.
Die Tragik dieser Situation ist kaum in Worte zu fassen. Hongkong war nicht nur lange Zeit das Tor der VRC zur Welt, sondern für viele Jahre eines der Länder mit der am besten geschützten Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit in ganz Asien. Hongkong konnte sich nie vom Fluch des teil-demokratischen Wahlsystems befreien, den seine ehemaligen Kolonialherren ihm auferlegt hatten. Hongkong hat nie die Souveränität, Autonomie und (soziale) Gerechtigkeit erlangt, die ihm zustand – auch unter der Einschränkung des “Ein Land, zwei Systeme”-Prinzips. Doch es bestand immer eine Hoffnung, eine Chance, eine Möglichkeit, für mehr Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Eine unfaire, unvollständige Demokratie – die 50 Jahre hätte Zeit haben sollen, sich selbst zu überkommen, sich auszubilden, um Seite an Seite mit den liberalen, demokratischen Ländern der Welt zu stehen – auch vor den Toren des Totalitarismus.
Liberalen wird gerne vorgeworfen, ökonomische Interessen vor alles andere zu stellen – dabei stehen wir eigentlich vor allem anderen für die Freiheit ein. Für Freiheit und Rechte des Individuums, das bedeutet insbesondere: Liberalism first, economy second. Unsere Volkswirtschaft steht, wie fast jede, in enger Abhängigkeit zur VRC. Eine Beziehung, die dafür sorgt, dass Millionen Deutsche Beschäftigung finden, Essen auf den Tisch bringen und sich auch für einen schmalen Taler ein Smartphone leisten können. Dennoch muss man bedenken: Es handelt sich hier nicht um Missstände im Durcheinander einer schwächelnden Volkswirtschaft, die ihre Bürger im Stich lässt. Es handelt sich um gezielte und erfolgreiche Angriffe eines übermächtigen, totalitären Regimes auf einen maßgeblichen Hafen der Freiheit. Allein in Anbetracht unserer Geschichte dürfen wir derartige Übergriffe nicht schulterzuckend hinnehmen.
Deutschland versagt
Die “umfassende strategische Partnerschaft” zwischen Deutschland und der VRC steht auf der Website des Auswärtigen Amts in Anführungszeichen. Deutschland sei wichtig, dass die VRC “[…] rechtsstaatliche Strukturen und Sozialsysteme entwickelt [und] mehr politische und ökonomische Partizipation zulässt […]”.2 Bestrebungen, das durchzusetzen, scheint es keine zu geben. Nur leere Versprechen Heiko Maas’ (SPD) gegenüber Nathan Law und Joshua Wong, Waffenexporte einzuschränken und Asylanträge in Deutschland zu erleichtern. Stattdessen ruht man sich seit sechs Monaten auf der bestehenden Rechtslage aus.3
Das jährliche Handelsvolumen zwischen Deutschland und der VRC beträgt über 200 Milliarden Euro – entsprechend könnte immerhin die jährliche Entwicklungshilfe von über 600 Millionen einmal geprüft werden.4 Dem Außenministerium sollte immerhin bekannt sein, wo es der VRC ansonsten weh tun würde – auch wenn etwaige Maßnahmen Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) Magengrummeln bereiten würden.
Deutschlands Reaktion ist enttäuschend. Auch wir haben die VRC denunziert – und doch richten sich Wasserwerfer deutschen Fabrikats gegen Freiheitskämpfer in einem Land voller Potential. Und Deutschland scheint ohnmächtig – auch jetzt wieder, während sich die Augen des Drachen sichtlich auf die Republik China richten.
Die Bürger der sogenannten Milk Tea Alliance aus Hongkong, der Republik China und Thailand – Länder, die neben ihrer Liebe für Milchtee-Getränke auch der Kampf für die Demokratie vereint – unterstützen sich immerhin selbst. Von Deutschland ist wohl keine Hilfe zu erwarten. Die Flagge der Republik China hat das Auswärtige Amt von seiner Website genommen5 – ein Land zu dem wir enge Handelsbeziehungen haben, ein Land das im Human Developement Index zwei Plätze über uns liegt.6 Die jüngsten, erheblichen Grenzverletzungen7 der VRC gegenüber der Republik China, mit 15 kampfbereiten Kampfflugzeugen, blieben unkommentiert – ebenso wie die pro-demokratischen Proteste in Thailand Ende letzten Jahres. Lediglich dem kritikwürdigen Thaikönig Maha Vajiralongkorn wurde auf Biegen und Brechen Visa-freie Einreise gewährt8 – und das, obwohl er rechtswidrigerweise seit vier Jahren sein Land aus Bayern heraus regiert.9 Demokratie in Südostasien scheint für das Auswärtige Amt ein blinder Fleck zu sein.
Die Bewohner Hongkongs haben stets mit enormer Beharrlichkeit für ihre Freiheit gekämpft – und haben dabei, vor allem in den letzten 23 Jahren, immer Fairness und absolute Resilienz bewiesen. Ob ihnen dieser Kampf jemals wieder ermöglicht, geschweige denn erlaubt wird, ist fraglich. Außer Frage steht: Auch der Verlust einer “unvollständigen Demokratie” muss uns betroffen machen, als Mahnmal und ungebetene Motivation dienen.
- https://open.spotify.com/episode/1lkzIqts1EqdCz3II3au9H?si=-C9iJO7qR8SfqVPTa50xvA.[↩]
- https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/bilateral/200472.[↩]
- https://www.businessinsider.de/politik/maas-laesst-hongkonger-stich-bundesregierung-bricht-versprechen-an-hongkonger-aktivisten-die-gruenen-reagieren-empoert/.[↩]
- https://www.focus.de/politik/ausland/630-millionen-euro-allein-im-jahr-2017-fast-10-milliarden-euro-seit-1979-darum-zahlt-deutschland-entwicklungshilfe-an-china_id_10817274.html.[↩]
- https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/taiwan-node/taiwan/200884.[↩]
- http://hdr.undp.org/en/data.[↩]
- https://www.welt.de/politik/ausland/article224930541/Chinesische-Bomber-in-Taiwans-Luftraum-USA-reagieren-deutlich.html.[↩]
- https://www.reuters.com/article/us-germany-thailand-king-idUSKBN29B2I0.[↩]
- https://asia.nikkei.com/Politics/Turbulent-Thailand/Thai-king-s-visa-free-stay-breaks-German-law-Bundestag-research.[↩]