Jung, Osten, Zukunft

Der Blick auf die Bedürfnisse und Wünsche junger Menschen aus Ostdeutschland wird vernachlässigt. Dabei gäbe es viele praktische Lösungsansätze, wie man diesen Menschen bessere Zukunftschancen ermöglichen könnte.

Vor einiger Zeit bin ich mit dem Zug aus Berlin gen Heimatdorf gefahren. Drei Stunden lang fing mein Blick aus dem Fenster dasselbe Bild ein: die Aneinanderreihung scheinbar endloser Wiesen und Felder. Dieses Bild wurde nur von grauen und zumeist verlassenen Bahnhöfen unterbrochen.

Würde mich jemand fragen, was ich fühle, wenn ich nach Hause komme, so würde ich dieses Bild zeichnen. Die Wiesen und Felder stehen dabei für das Natürliche. Die gewohnte Sicherheit. Für das Selbstverständliche und Unberührte. Und so gleichzeitig auch für das Gegenteil von Veränderung. Die grauen und verlassenen Bahnhöfe symbolisieren jenen Stillstand, den ich erfahre, sobald ich die Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern überschritten habe.

Ich habe über die Zeit während meines politischen Engagements zuhause – das meint gleichzeitig im Osten – gelernt, dass dort etwas in der Luft liegt. Etwas, das ich leider nicht verstehe, weil es vor meiner Zeit passiert ist: der Zusammenbruch der DDR und der damit verbundene Systemwechsel. Ich kenne die Wiedervereinigung nur aus dem Geschichtsbuch. Bis vor einigen Jahren dachte ich, es gebe gar keine Unterschiede mehr zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern. Und genau danach habe ich auch meine politische Agenda ausgerichtet: ich habe mich stets und lautstark für gesellschaftlich liberale Werte eingesetzt. Für eine Gesellschaft, in der jeder nach seiner Façon selig werden soll. Auch das Thema Nachhaltigkeit schien mir dringend wie nie. Und so war ich stolz auf mich, dass ich voran ging und habe nicht gemerkt, dass mir nur wenige Landsleute folgen konnten.

Wo ist die verdammte Mitte?

Das Enttäuschung ist groß, wenn man bemerkt, dass man Antworten auf Fragen hat, die nur wenige stellen oder sich gar dafür interessieren. Gerade, wenn das eigene Politikverständnis dadurch geprägt ist, die Dinge mit den Bürgerinnen und Bürgern im Dialog voranzubringen und gestalten. Doch was sind die Fragen, die Ostdeutsche stattdessen umtreiben? Was beunruhigt sie? Und was macht sie glücklich? Warum sprechen sie Parteien an, die für radikale Maßnahmen werben?

Ob es nun auf der einen Seite DIE LINKE ist, die mit ihrem moralischen Totalitätsanspruch und einem fragwürdigen Gerechtigkeitsverständnis zwar die Probleme anspricht, aber dafür keine vernünftigen Lösungen anbietet. Seit Jahren fahre ich regelmäßig an Plakaten der LINKEN vorbei, auf denen „Wir wollen den Bildungsaufstand“ groß und fett geschrieben steht. Damit soll der Lehrermangel und der damit verbundene Unterrichtsausfall angeprangert werden. Für mich ist das Symbolpolitik at its best: denn das Problem im Bildungsbereich liegt tiefer. So tief, dass es sich vielleicht nicht mehr so sexy auf roten Plakaten mit dem Symbol der ausgestreckten Faust liest. Dabei geht es doch viel mehr um Weiterbildungsmaßnahmen im digitalen Bereich für Lehrerinnen und Lehrer. Denn die sind im Durchschnitt so alt wie die meisten Overhead-Projektoren in den Klassenräumen. Ich will nicht sagen, dass alleine Weiterbildungsmaßnahmen diese Probleme in Luft auflösen, doch erlaubt uns die richtige Anwendung von digitalen Mitteln, den Einsatz unserer Lehrerinnen und Lehrer anders zu denken.

Auf der anderen Seite sieht es leider auch nicht besser aus: die rückwärtsgewandte und zum Teil rechtsextreme AfD beschränkt sich zumeist auf das destruktive Kritisieren der anderen Parteien. Sie bemüht sich nicht einmal, auf die drängenden Fragen der Zeit eine Antwort zu finden. Während meiner Zeit als studentische Mitarbeiterin im Landtag von Mecklenburg–Vorpommern saß ich den Abgeordneten der AfD oft auf der Besuchertribüne gegenüber. Ich habe beobachtet, wie sie die Reden ihrer Parlamentskollegen mit despektierlichen Zwischenrufen störten, einfach dazwischen quatschten oder sich breitbeinig über Frauen lustig machten. Sobald ein Abgeordneter aus ihren Reihen selbst zu Pult trat, sollte jeder noch so kleine Zwischenruf geahndet werden. Ich weiß, dass es in den meisten Parlamenten in einem bestimmten Ausmaß so abläuft. Aber das, was die AfD dort in den Sitzungswochen abliefert, ist so krass unprofessionell, dass ich mich gefragt habe, ob ich wirklich in einem hohen Haus sitze. Ich will ehrlich sein, dieses Auftreten der Herren faszinierte mich. Es führte dazu, dass ich meine Aufmerksamkeit kaum auf die inhaltliche Debatte richten konnte. Mit dem Blick auf die vergangenen Anträge stelle ich im Nachhinein fest, dass ich wenig verpasst habe: ob es um Forderung der Dauerbeflaggung von Schulen oder die Abschaffung der geschlechtergerechten Sprache im Unterricht ging: Herausforderungen, die wirklich Substanz verlangen, werden nicht einmal thematisiert.

Es braucht Politikerinnen und Politiker, die dafür sorgen, dass die jungen Menschen nicht abwandern

Damit bürgerliche Parteien im Osten verstärkt den Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern finden, reicht es nicht, Sonntagsreden zu schwingen, in denen sie versichern, dass sie den Menschen zukünftig wieder mehr zuhören. Es reicht auch nicht, permanent anzukündigen, dass die Lebensleistung im Osten stärker wertgeschätzt werden muss. Die Krönung ist allerdings, dass seit Jahrzehnten darüber diskutiert wird, dass die Löhne zeitnah angeglichen werden sollen. Jeder, der in der Politikbranche unterwegs ist, weiß, dass Prozesse sehr langwierig sein können. Max Weber nannte es das Bohren dicker Bretter. Aber in Mecklenburg – Vorpommern hat man manchmal das Gefühl, dass die Verantwortlichen schlicht und einfach nicht mitbekommen haben, dass es schon seit längerer Zeit Bohrmaschinen gibt, die einen schneller zum Ziel bringen.

Es braucht Politikerinnen und Politiker, die dafür sorgen, dass die jungen Menschen nicht abwandern. Es stecken so viele kluge und kreative Ideen in unseren Köpfen, mit denen wir das voranbringen wollen, was wir am meisten lieben: unsere Heimat. Es ist manchmal frustrierend zu sehen, dass wir kaum Möglichkeiten bekommen, etwas aus unseren Ideen zu machen. Deswegen sollte jede Schülerin und jeder Schüler schon in der Schule lernen, ein Unternehmen zu gründen. Dafür braucht es eine moderne digitale Ausstattung. Leider verschläft es die SPD-Bildungsministerin (in Mecklenburg-Vorpommern, Anm. d. Red.), das Geld aus dem milliardenschweren DigitalPakt des Bundes abzurufen. Schade drum. Die junge Generation Mecklenburg-Vorpommerns würde sich freuen.

Auch wichtig für uns junge Menschen: Wie komme ich von A nach B? Das Auto ist für uns längst kein Statussymbol mehr, sondern allenfalls nur noch Mittel zum Zweck. Wichtig ist uns vielmehr, uns nachhaltig und flexibel bewegen zu können. Wir stellen uns unseren Mobilitätsmix aus Car-Sharing-Angeboten und ÖPNV selbst zusammen. Vertraut uns da ruhig mal. Schließlich sind wir es, die im Moment noch unsere Eltern oder Freunde fragen müssen, ob sie uns nach einer verzechten Nacht von einer Bar aus Schwerin abholen.

Wir sind es unserer Heimat schuldig

Doch die besten Inhalte reichen nicht aus, wenn sie nicht von einem authentischen und integren Personal mit einer politischen Agenda aus der Mitte kommuniziert werden. Eine Agenda, die alle Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt und ein Zukunftsversprechen an alle jungen Menschen gibt, die den Stillstand im Land nicht mehr ertragen können. Deshalb gab es für politische Nachwuchskräfte im Osten nie einen fruchtbareren Boden als jetzt. Wir sind nicht von einem System enttäuscht worden, die Erfahrung steckt uns also nicht den Knochen. Unsere Naivität ist unsere größte Stärke. Wir leben die Demokratie wie keine Generation vor uns. Wir stecken voller Hoffnungen, Kreativität und Ideen, die der Osten braucht. Wir sind es unserer Heimat schuldig, dass wir aus den grauen und verlassenen Bahnhöfen bunte Orte der Zusammenkunft machen.


Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung der Gastautorin wider.


Gastautorin

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