Dass die Zukunft viele Namen habe, wusste schon Victor Hugo. So sei sie für “Schwache das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte (und) für die Mutigen die Chance”. Aus heutiger Sicht müsste man wohl anfügen…”und für die Deutschen die Vergangenheit” – so zumindest scheint es einmal mehr, wenn man den Gedanken folgt, die auf dem sogenannten “Zukunftsfestival” der ZEIT geäußert wurden.
Dass bei den Namen “Zukunft der Ökologie – *Klimaglück*” die ganze Packung deutsch-romantischen Klimakitsches folgen musste, hätte man ahnen können. Klimakitsch, das bedeutet absurdes Geschwafel über Degrowth. Klimakitsch, das bedeutet die obligatorische (kolonialistische) Frage, ob es nicht zu viele Menschen auf dieser Erde gebe. Kurzgesagt, Klimakitsch bedeutet das Fordern einer als Utopie verpackten Welt der Vergangenheit, als Abwehrreflex gegen die entfesselte Kraft der Moderne.
Eine Lehrstunde des Klimakitsches lieferte auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Emilia Fester, die ihr Zukunftsbild einer Großstadt skizzieren sollte und dabei in rührender Art und Weise das Dorf mit der Stadt verwechselte. Oder nein, von Verwechslung kann kaum die Rede sein, so sei ihr Idealbild tatsächlich “so ein bisschen wie auf dem Dorf, aber mitten in der Stadt”. Kreidebilder-malende Kinder, ein großer Baum und dazu ein Brunnen – in Festers romantischer Vision neuer Städte fehlte nur noch ein aus dem genannten Brunnen hervorsteigender Froschkönig im Sinne der Gebrüder Grimm.
Im Land, wo jeder Dorfroman ein Bestseller wird, sind Festers “Stadt”-Visionen symptomatisch für viele unserer Probleme. Dabei ist der grüne Impuls, den Autozentrismus deutscher Innenstädte zu kritisieren, völlig richtig. Kaum etwas steht so für Stillstand, wie die Unmenge an Parkplätzen in deutschen Innenstädten. Aber nein, aus Parkplätzen sollen sicher keine freiliegenden Flächen werden, auf denen die Mittelstands-Kinder mit ohnehin zu großen Vorgärten mit Kreide spielen können. Auf Parkplatz-Stillstand muss Großstadt-Expansion folgen. Es ist das kategorische Scheitern deutscher Ökos, die in den Sommerferien ihrer Kindheit wohl zu oft zelten waren und deswegen das Idealbild ihrer Stadt an Dörfern und Vorstädten ausrichten, auf die Autoromantik deutscher Städte mit der Dorfromantisierung derselben zu antworten.
Es ist aber auch der deutsche Unwille, neue Synthesen zu wagen. Während deutsche Konservative und Liberale den Brumm-Brumm-Status-Quo deutscher Städte verteidigen, wollen deutsche Grüne ihren Schwedenurlaub gleich vor die eigene Haustür verlagern. Wie es anders gehen könnte, zeigen Konzepte wie der sogenannte “Solarpunk”, die aus Umweltschutz, Urbanisierung und Moderne eine neue Synthese formen. Klimaschutz und Expansion, das ist nicht, wie von Degrowthlern ausgerufen, ein Widerspruch, sondern eine zwingende und reziproke Abhängigkeit.
Expansion in Großstädten, das bedeutet höhere und besser isolierte Wohnungen (ja, mit grünen Wandfassaden). Expansion, das bedeutet Nachverdichtung. Expansion, das bedeutet ausgebaute Fahrradwege, auf denen immer schnellere Fahrräder fahren – Beschleunigung statt Entschleunigung eben. Expansion, das bedeutet mehr Menschen und keine Betonwüsten in Berlin. Dass die Ästhetik der neuen Ökomoderne in Japan oder Singapaur gedacht wird, muss nicht überraschen. Der deutsch-romantische Blick auf unsere Städte verstellt die Potenziale des Urbanen. In ihrer Abneigung gegen die global-industriellen Perspektiven der Großstädte waren sich deutsche Konservative und deutsche Linke nicht selten einig.
“Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher eine unaussprechliche Schönheit der Natur”, heißt es in Goethes “Leiden des jungen Werthers” – befreit hat sich der deutsche Geist von dieser Einstellung nie. Ein solches Denken ist in diesem Jahrhundert aber keine Option mehr. Die Uhr der Moderne lässt sich nicht zurückdrehen. Wie die Figur des Flâneurs in den Passagen des aufsteigenden Paris, müssen wir die Faszination des Urbanen neuerkunden, um sie mit den Aufgaben ökologischer Imperative neu zu vereinen. Städte sind seit Jahrhunderten die Antriebkräfte von Wohlstand, Wachstum und Fortschritt – sie werden es bleiben und obendrein zu Vorreitern des klimaneutralen Umbruchs.
Während sich Degrowth als solche deklariert, ist Solarpunk eine echte Utopie. Dezentralisierte Städte, die eine radikale Symbiose aus Natur und Urbanität wagen. Fliegende Autos, abstruse Gebäude im Sci-Fi-Look und technologischer Fortschritt an jeder Ecke – angetrieben allein durch Solarenergie. Der Reiz des Kommenden treibt Solarpunk-Begeisterte an, ohne dabei den Blick auf die Gefahren der Gegenwart zu verlieren. Und auch wenn nicht jede Vision irgendwann eine tatsächliche Realität ist, so bietet Solarpunk heute die Möglichkeit, Städte als das zu sehen, was sie schon immer sein sollten; als Projektion der Potenzialität der Zukunft.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Meine Hymne auf das Urbane soll kein Spottlied auf das Dörfliche sein. Nicht nur in den Städten, auch im ländlichen Raum hemmen die Angst vor Fortschritt und Moderne die Möglichkeiten ganzer Regionen. Anders lässt es sich nicht erklären, warum bei dem wichtigsten Imperativ dieses Jahrzehnts, der massiven Expansion klimaneutraler Energie, Konservative plötzlich zu Tierschützern, Liberale bei Abstandsregeln zu NIMBYs und Grüne bei Atomkraft zu Gegnern staatlich-klimaneutraler Energieproduktion werden. Auch ist ein Bauer, der die Chancen von Gentechnik erkennt, in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher als Stadtbewohner, die stolz mit dem Label “gentechnikfrei” im Einkaufswagen hausieren gehen. Die Furcht des Neuen verstellt die Sicht auf die Potenziale der Zukunft – im Urbanen und Ländlichen.
Was es braucht ist Expansion auf allen Ebenen, in Stadt und Land – mehr und höhere Häuser, mehr Windkraftwerke, mehr Bahnwege. Wenn Robert Habeck verspricht, ein LNG-Terminal in unter einem Jahr zu bauen, dann kann das nur Anlass sein, um überall endlich angemessen schnell, das bedeutet so schnell wie möglich, auszubauen. Als Angriff auf den Stillstand-Status-Quo muss Expansion das Diktat dieses Jahrzehnts sein. YIMBYism ist in diesem Jahrhundert nicht mehr eine Ästhetik der Moderne, es ist die Einsicht in die Notwendigkeit. NIMBY kann nur sein, wer auf Kosten der mitmenschlichen Zukunft die eigene Gegenwart zeitigt.
Jedem Thüringer Lokalpolitiker, der 1000-Meter Abstandregeln fordert, drei neue Windkraftwerke vor die Tür zu stellen, jedem weißen Latte-Machiatto-Berliner, der das Tempelhofer Feld verteidigt, zwei neue Hochhäuser vor das Lieblingscafé zu setzen und jedem Wannabe-Tierschützer, der für vier Salamander den Bahnausbau blockiert, eine extra laute Bahnstrecke vor das Schlafzimmer zu bauen; ja, auch das ist (Solar)Punk.