Klarnamenpflicht – Feldzug gegen das Internet

Anonymität ist Segen und Fluch zugleich: für den Einen die Möglichkeit, seine Persönlichkeit auszuleben – für den Anderen ein Persilschein für Hass und Hetze. Welche Folgen die Einführung einer Klarnamenpflicht für das Internet, die Demokratie und unsere Glaubwürdigkeit in der Außenpolitik hätte.

Bei der Suche nach einer Lösung für den Problemkomplex Hass und Hetze im Internet wurden in den letzten Jahren diverse Vorschläge diskutiert. Die Klarnamenpflicht ist ein Konzept aus einer langen Liste immer wieder  diskutierter Ideen, wie gegen Hass und Hetze im Netz vorgegangen werden  kann. Dabei sollen User in sozialen Netzwerken nicht mehr, wie heute üblich, unter Pseudonym veröffentlichen dürfen, sondern dieses unter ihrem bürgerlichen Namen tun. Dazu sollen sie sich gegenüber den Betreibern von sozialen Netzwerken authentifizieren und so ihre Identität preisgeben. Die Politik verspricht sich davon ein verbessertes Gesprächsklima auf Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook oder Instagram. Des weiteren wird davon ausgegangen, dass Ermittlungen bei Straftaten beschleunigt werden. Diese Argumentation lässt jedoch eine sinnvolle Abwägung zwischen staatlichem Strafanspruch und dem Bürgerrecht auf Privatsphäre völlig vermissen.

Federführend bei diesem Vorhaben ist – wie nicht anders zu erwarten – die CDU.

„Ich bin für eine Klarnamenpflicht in den sozialen Netzwerken und unterstütze alle Vorschläge der Bundesjustizministerin, um Regeln und Transparenz auch in der digitalen Welt durchzusetzen“

Wolfgang Schäuble (CDU) gegenüber der BILD am Sonntag am 12.01.2020

Das digitalpolitische Repertoire der CDU umfasst die verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung, ein wirkungs- und sinnloses Leistungsschutzrecht und technisch, ethisch und moralisch fragwürdige Uploadfilter. In die Reihe dieser „Glanzleistungen“ reiht sich der Vorschlag der Klarnamenpflicht hervorragend ein. Überspitzt gesprochen führt die CDU einen Feldzug gegen das Internet, seine Kultur und den damit verbundenen Fortschritt.

In der aktuellen Legislaturperiode ist glücklicherweise nicht mit einer Umsetzung dieses Vorschlags zu rechnen, da die SPD bereits ihre Unterstützung versagt hat. In Anbetracht der Vehemenz und Ausdauer der CDU bei der Umsetzung ähnlicher Vorhaben ist es aber zu früh, Entwarnung zu geben.

Internetkultur und Demokratie?

Die Möglichkeit, anonym bzw. pseudonym seine Meinung mit Anderen zu teilen, ist nicht nur integraler Bestandteil der Internetkultur, sondern auch unserer demokratischen Kultur. Anonymität ermöglicht es, repressionsfrei Meinungen und Überzeugungen zu vertreten. In autoritären Staaten wie China, Belarus, Russland oder Thailand ist der Widerstand gegen autoritäre Regime teilweise nur durch und über das Internet möglich. Ohne Anonymität keine Zivilgesellschaft, die sich autoritären Regierungen entgegenstellt und für Menschenrechte und Freiheit eintritt.

Auch in westlichen Demokratien ist eine Deanonymisierung nicht nur problematisch, sondern kann potenziell tödlich sein. Für viele Menschen ist das Internet ein Raum, in dem sie über ihre Probleme sprechen und sich mit Menschen austauschen können, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Für vulnerable Gruppen wie die LGBTQ+-Community bieten Plattformen wie reddit oder DBNA wichtige Räume des angstfreien Austauschs. Die Anonymität dieser Plattformen bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten, ohne die ständige Furcht, sich vor Familie, Freunden oder Kollegen rechtfertigen zu müssen. Auch wenn man im Jahr 2021 hoffen würde, dass so etwas nicht notwendig ist. Die Realität straft diese Hoffnung allerdings Lügen. Auch für andere häufig stigmatisierte Bevölkerungsgruppen stellt das Internet teilweise die einzige Möglichkeit des offenen Austauschs dar.

Deutschland und andere westliche Länder würden ein fatales Signal aussenden, wenn sie die Anonymität im Internet vollständig aufheben!

Bei alldem ist zu bedenken, dass das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz in autoritären Staaten rund um den Globus bereits Nachahmer gefunden hat. Russland, Venezuela oder die Türkei haben für sie passende Teile des Gesetzes dankbar kopiert und unterdrücken so aktiv Opposition, Medien und regimekritische Bürger. Das Perfide an der Taktik der autoritären Herrscher: Kritik an den Gesetzen wird mit Verweis auf die Gesetze in Deutschland, der EU oder den USA abgeschmettert. Der unterdrückten Bevölkerung wird eingeredet, dieser Zustand sei normal und auch „der Westen“ würde so verfahren.

Wladimir Putin nutzte eine ähnliche Taktik, um sich gegen sämtliche Kritik zu immunisieren. Er lenkte mit einem Verweis auf die USA und deren Problemen mit Polizeigewalt und Rassismus  geschickt von seinem eigenen Umgang mit Abweichlern ab.

Technik – Lösung aller Probleme?

Neben der politisch-moralischen Dimension gibt es ebenfalls viele praktisch-technische Gründe, die eine Klarnamenpflicht unmöglich machen. Eine effektive, wirksame Klarnamenpflicht ist mit der Dezentralität des Internets schlicht nicht durchsetzbar. Personal, Software und Hardware sind über den gesamten Globus verteilt. Das Entwicklungsteam arbeitet in San Francisco, die Hardware steht in Frankfurt und die Kunden leben in Afrika, Asien oder Südamerika. Dank des Internets handelt es sich bei dieser Beschreibung nicht um ein hypothetisches Szenario, sondern ein typisches Digitalunternehmen. Ein deutsches oder europäisches Gesetz zur Deanonymisierung der Nutzer wäre aber nur für Dienste durchsetzbar, die sich im jeweiligen Hoheitsgebiet befinden.

Dem Gesetzgeber blieben als Reaktion folglich nur zwei Optionen:

1) akzeptieren, dass das Gesetz de facto nicht wirksam ist oder

2) ein EU- bzw. DE-Netz mit Firewalls nach chinesischem Vorbild errichten.

Anbieter aus anderen Ländern könnten folglich weiterhin ihre Dienste anonym anbieten und würden damit den Zweck eines solchen Gesetzes ad absurdum führen. Die Folge: Einheimische Digitalunternehmen unterlägen einer systematischen Benachteiligung und wären damit nicht wettbewerbsfähig. Der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Europa würde umfassend und nachhaltig beschädigt.

Letzteres ließe sich nur als Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes bezeichnen. Eine „Great Wall of Germany / Europe“ wäre der erste Schritt hin zu einem autoritären Staat, der Freiheitsrechte mit Füßen tritt. Noch leben wir zum Glück nicht in einem Überwachungsstaat wie der Volksrepublik China, der jeden Schritt seiner Bürger überwacht, analysiert und sanktioniert.

Selbst wenn man die bisherigen Argumente ignoriert, gibt es praktische Umstände, die aufzeigen, dass die Klarnamenpflicht zu mehr Problemen als Lösungen führt. Wesentliches Ziel des Vorhabens ist die schnelle, einfache und zuverlässige Identifikation von Internetusern zur Erleichterung der Strafverfolgung. In der Theorie soll sich der Nutzer gegenüber dem Anbieter durch ein Ausweisdokument legitimieren. Der Anbieter ist in diesem Moment also gezwungen, Ausweisdokumente zu verarbeiten. Da bis heute die digitalen Funktionen von Ausweisdokumenten kaum genutzt werden, wäre der Anbieter dazu gezwungen, Bilddateien zu verarbeiten und zu speichern. Bei jedem Anbieter müssten also im Zweifel hunderttausende Ausweisdokumente rechtssicher gespeichert werden. Aufgrund der fehlenden digitalen Ausweise ist dieser Prozess extrem anfällig für Manipulation. Er würde im schlimmsten Fall dazu führen, dass Personen sich mit gefälschten Ausweisdokumenten legitimieren und die Identität echter Bürger als Schutzschild verwenden. 

Sowieso stellt diese geballte Sammlung an höchstpersönlichen Informationen ein extrem lukratives Angriffsziel dar. Man müsste damit rechnen, dass selbst ressourcenintensivste Angriffsvektoren verwendet werden, da die potenziellen Erträge sehr hoch sind. Auch bei der Verwendung von digitalen Ausweisdokumenten wie dem ePerso sind diese Szenarien denkbar. Mittels Social Engineering und anderer typischer Hacking-Methoden ist es Sicherheitsforschern bereits gelungen, angeblich sichere Systeme wie das besondere elektronische Anwaltspostfach „beA” oder die digitale Gesundheitskarte zu infiltrieren. Es zeigt sich: Technische Lösungen für gesellschaftliche Probleme sind zum Scheitern verurteilt.

Für die Freiheit!

„Ich hab ja nichts zu verbergen“ – mit dieser Aussage ist man immer wieder konfrontiert. Interessanterweise reagieren dieselben Personen irritiert bis aggressiv, wenn man sie bittet, kurz Einsicht in die WhatsApp-Nachrichten, das Bankkonto oder den Terminkalender nehmen zu dürfen. Ganz nach dem Motto: Einschränkungen der Freiheit nur für die Anderen, aber nicht für mich.

Für mich als Liberalen steht fest: Jeder Bürger hat etwas zu verbergen. Jeder hat Interessen, Themen oder Interaktionen, die er nicht mit seinem bürgerlichen Namen verknüpft sehen möchte. Der Schaden, der durch die Abschaffung der Anonymität angerichtet würde, ist unermesslich und steht in keinem Verhältnis zu der vermeintlich gewonnenen “Sicherheit”.

Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.

Benjamin Franklin (zugeschrieben)

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