Koalitionsausschuss zum Wahlrecht: Eine Mogelpackung

Der Beschluss des Koalitionsausschusses zur Wahlrechtsreform ist ein fauler Kompromiss. Wie die Union durch ihre jahrelange Hinhaltetaktik dem Vertrauen in die Demokratie Schaden zufügt.

Am Abend des 25. August 2020 einigten sich die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD im Koalitionsausschuss auf einen Kompromiss zur Wahlrechtsreform. Dieser sieht vor, dass die Anzahl der Wahlkreise bei der Bundestagswahl 2021 unverändert bei 299 bleibt und drei Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden sollen. Darüber hinaus soll der erste Zuteilungsschritt “modifiziert” werden – auf die Frage, wie das geschehen soll, bleibt die Vereinbarung jedoch eine Antwort schuldig. Für die Bundestagswahl 2025 möchten die Koalitionsfraktionen noch in der laufenden Legislaturperiode die Verringerung der Anzahl der Wahlkreise auf 280 in ein Gesetz gießen.

Die Chronik

Zur Einordnung: Nachdem bei den Bundestagswahlen 2005 und 2009 die – bis dahin überhaupt nicht ausgeglichenen – Überhangmandate deutlich zunahmen und das Bundesverfassungsgericht infolgedessen mit Urteil vom 25. Juli 2012 diese Regelung für verfassungswidrig und somit nichtig erklärte, war der Gesetzgeber gezwungen, eine Regelung zum Ausgleich der Überhangmandate zu schaffen, was im Mai 2013 erfolgte. Durch die Neuregelung wurde bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 durch das zweistufige Sitzzuteilungsverfahren das Zweitstimmenergebnis in der Sitzverteilung im Parlament abgebildet. Hierdurch sorgte ein angefallenes Überhangmandat für gleich mehrere zusätzliche Abgeordnete im Bundestag, was zu einer enormen Vergrößerung des Bundestags bis auf 709 Mitglieder in der laufenden Legislaturperiode führte. Bereits als der Bundestag am 22. Oktober 2013 das erste Mal in der damals neuen Legislaturperiode zusammentrat, mahnte Bundestagspräsident Norbert Lammert, man solle “rechtzeitig vor der nächsten Wahl noch einmal einen gemeinsamen sorgfältigen Blick auf diese Regelungen werfen”.

Nachdem die Große Koalition sich in der laufenden Wahlperiode, insbesondere wegen der Verweigerungshaltung der CSU, auf keinen Vorschlag zur Lösung des Problems eines immer größer zu werden drohenden Bundestags einigen konnten, legten die Fraktionen der FDP, der Grünen und der Linkspartei im November 2019 einen eigenen Gesetzentwurf vor, der eine Verringerung der Wahlkreise auf 250 und eine Erhöhung der Gesamtsitzzahl auf 630 vorsah. Dieser Vorschlag wurde von den Koalitionsfraktionen jedoch bis in die derzeit laufende Sommerpause hinein im Innenausschuss des Bundestags festgehalten, sodass es bis dato zu keiner Änderung des Wahlrechts kam.

Warum der Bundestag kleiner werden muss

Mehr Abgeordnete bedeuten mehr Aufwand. Jedem Abgeordneten steht ein Büro für sich und seine Mitarbeiter zu. Schon heute, bei 709 Abgeordneten, platzen die Gebäude des Bundestages beinahe aus allen Nähten. Bei der Verteilung der Abgeordnetenbüros trat man sich bereits 2017 auf die Füße. Sollten es im kommenden Jahr tatsächlich mehr als 800 Abgeordnete werden, könnte das zu einem echten Problem führen. Weiterhin sind Abläufe wie namentliche Abstimmungen und Hammelsprünge Teil des Plenaralltags. Auch diese Vorgänge wären bei einem noch größeren Bundestag mit mehr Zeit- und Personalaufwand verbunden.

Mehr Abgeordnete sorgen unumgänglich auch für mehr Meinungen. Meinungen, die relevant für Prozesse, Anträge und Redezeiten sind. Die Parlamentsarbeit würde sich noch weiter verlangsamen, nicht nur im Plenarsaal, sondern vor allem in den Ausschüssen des Bundestages. Abläufe würden verlängert, die Qualität der Politik damit aber keinesfalls verbessert werden. Ein Aufwand, der offensichtlich nicht zum Ertrag führt.

Weiterhin kosten Abgeordnete Geld. Geld, das nur durch den Steuerzahler zur Verfügung steht. Das Parlament wird 2021 voraussichtlich knapp weniger als 974 Millionen Euro kosten. Durch Bezüge, Kostenpauschalen, Sachleistungen und Mitarbeiter alleine verursacht ein Abgeordneter Kosten von mehr als 35.000 Euro im Monat. Das alles ist eine extrem wertvolle Investition des Steuerzahlers in die Demokratie. Zuviel darf es allerdings nicht werden, vor allem nicht, wenn man für die Mehrausgabe keinerlei Mehrleistung erhält. Eher im Gegenteil. Durch den Vorschlag von Union und SPD im Koalitionsausschuss würden dem deutschen Steuerzahler 2021 nur einige wenige Mandate erspart bleiben, die er finanzieren müsste. Vielmehr wäre, wie von FDP, Grünen und Linkspartei vorgeschlagen, eine Verringerung von Wahlkreisen kombiniert mit einer moderaten Erhöhung der Gesamtsitzzahl ein Mittel, das einem aufgeblähten Bundestag effektiv entgegenwirkt. Das würde dem Steuerzahler unnötige Aufwendungen in Millionenhöhe ersparen.

Nicht zuletzt ist es die Aufgabe eines Parlaments, durch seine Arbeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie kontinuierlich zu bestätigen und zu fördern. Ein Parlament, das den Steuerzahler immer mehr Geld kostet und dabei langsamer und ineffektiver wird, schafft dieses Vertrauen nicht. Ganz im Gegenteil.

Der faule Kompromiss

Dass der Kompromiss des Koalitionsausschusses vom 25. August 2020 einer der faulen Sorte ist, wird deutlich, wenn man sich die Motive der Beteiligten anschaut: Während die Unionsparteien, insbesondere die CSU, stark von den vielen durch sie gewonnenen Direktmandaten profitieren, ist dies bei der SPD nicht in diesem Ausmaß der Fall. Es wird schnell klar, wer sich bezogen auf die Wahl 2021 durchgesetzt hat: Die Union.

Besonders pikant ist jedoch der Plan, drei anfallende Überhangmandate nicht auszugleichen. Zwar wäre eine solche Regelung verfassungsgemäß – das Bundesverfassungsgericht lässt im oben erwähnten Urteil von 2012 ausdrücklich den Nichtausgleich von Überhangmandaten im Umfang von etwa einer halben Fraktionsstärke zu – dennoch ist sie undemokratisch. Durch die nicht ausgeglichenen Überhangmandate spiegelt sich das Zweitstimmenergebnis nicht mehr korrekt in der Sitzverteilung im Bundestag wider. Hierdurch leidet die Repräsentation des Wählerwillens im Bundestag. Angesichts dessen, dass diese Überhangmandate aller Voraussicht nach der Unionsfraktion zufallen werden, wird sie sich durch die gestrige Einigung quasi eine lex Union ins Wahlrecht für die kommende Bundestagswahl einbauen.

Weiterhin ist eine Verkleinerung des Bundestags durch die geplante Regelung für 2021 zwar möglich, jedoch nur in einer homöopathischen Dosis. Sofern die aktuell im Parlament vertretenen Parteien alle wieder in den Bundestag einziehen, ist mindestens eine ähnliche, voraussichtlich aber eine höhere Anzahl an Überhangmandaten als nach der Wahl 2017 (46) zu erwarten. Demnach würde dennoch eine beträchtliche Menge an Ausgleichsmandaten anfallen.

Insgesamt ist die Einigung des Koalitionsausschusses ein fauler Kompromiss zugunsten der Direktmandatsträger aus der Unionsfraktion. Durch die Verfälschung des Zweitstimmenergebnisses ist es ein Kompromiss zulasten der Demokratie. Indem eine wirklich spürbare Verkleinerung des Bundestags im Jahr 2021 aller Voraussicht nach auf diesem Weg auch nicht erreicht wird, handelt es sich letztendlich um eine Mogelpackung der Union – auf Kosten des Steuerzahlers, des Wählerwillens und des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie.

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Redakteur | Co-Founder
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