Tempolimit: Ein Eingriff ohne Rechtfertigung

Die Debatte über ein allgemeines Tempolimit auf Deutschen Autobahnen wurde inzwischen so häufig wieder aufgewärmt, sie ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Es gilt: “In dubio pro liberate” und daher: Nein zum Tempolimit! Aber warum?

In der deutschen Politik geht kaum eine Woche ins Land, ohne dass das Thema wieder ausgepackt wird. Sogar so häufig, dass die Debatte mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist. Daher stellt man sich schnell die berechtigte Frage: Wird ein Tempolimit nur aus ideologischen Gründen gefordert oder gibt es gute Argumente für ein solches Limit? So viel vorweg: Es gibt Argumente für ein Tempolimit. Aber sind diese Argumente ausreichend, um eine Beschränkung zu begründen? 

In einer Umfrage aus dem Jahr 2020 spachen sich von über 5000 Befragten 41% für ein Tempolimit aus. Nur 31% dagegen. 1 Aus selber Umfrage geht auchhervor, dass jeder Zweite glaubt, die Verkehrssicherheit würde durch die Einführung eines Tempolimits erhöht. Über ein Drittel der Befragten erwartet zudem eine Verringerung der CO2-Belastung durch ein allgemeines Tempolimit. Damit wurden bereits die zwei zentralen Argumente genannt, mit denen Befürworter eines Tempolimits zu Felde ziehen: Umwelt und Sicherheit. Grundsätzlich darf dabei nie vergessen werden: Die Einschränkung von Freiheitsrechte der Bevölkerung bedarf angemessener Rechtfertigung. Es steht also die Frage im Raum, ob diese Argumente für ein generelles Tempolimit ausreichend sind, um einen solchen Einschnitt zu rechtfertigen.

Das Klima-Argument

Am vehementesten fordern in Deutschland wohl die Grünen ein Tempolimit auf Autobahnen. Meist als allererstesbegründet mit dem Argument des Klimaschutzes. Betrachtet man dieses Argument genauer, stellt man sich die Frage:  Ist es ausreichend um ein solches Tempolimit zu begründen? 

Deutschland hat im ganzen Jahr 2018 etwa 858 Millionen Tonnen2 Treibhausgase emittiert. Davon entfielen ein großer Teil (186,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente)3 auf den Straßenverkehr. Was viele nicht wissen: Ganze 76,2 % machen dabei allerdings Emissionen von Fahrzeugen aus, die von einem Tempolimit nicht betroffen wären. Weder erreichen, noch dürfen LKWund Nutzfahrzeuge Tempo 130 km/h fahren, waren aber 2018 für etwa 142,2 Tonnen CO2-Äquivalente 4, und damit eben einen enormen Teil des Sektors, verantwortlich. Nur 44,5 Millionen Tonnen5 sind auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zurückzuführen, die von einem Tempolimit von 130 km/h betroffen wären. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hätte ein Tempolimit von 130 km/h ein Einsparpotential von etwa 1,9 Millionen Tonnen 6. Dies entspricht nur etwa 4,3 % der Emissionen leichter Nutzfahrzeuge und Pkw. Knapp 5% erscheinen durchaus nicht als irrelevant. Setzt man die Wirkung eines Tempolimits auf Basis der Zahlen von 2018 ins Verhältnis zum kompletten Sektor Straßenverkehr, so beträgt die Einsparung nur noch ca. 1,0 %. Im Verhältnis zu den gesamten Emissionen des Jahres 2018 hätte ein Tempolimit zu einer Einsparung von nur 0,2 % CO2-Äquivalenten geführt. 

Man erkennt schnell: Das Argument des Klimaschutzes ist kein hinreichendes für ein Tempolimit. Allein durch die Erhöhung der Energiesteuer für Dieselkraftstoffe um fünf Cent pro Liter bis 2030, könnte man 1 Million Tonnen einsparen. Alternativen mit ähnlichem Einsparpotenzial wären es, den PKW-Verkehr in Städten um sechs Prozent zu verringern oder 500.000 zusätzliche Elektro-Pkw auf die Straßen zu bringen. Es gibt also sicherlich deutlich effektivere Wege, um Emissionen zu verringern und unser Klima  zu schützen, als ein Tempolimit auf Bundesautobahnen. 7

Das Argument der Sicherheit

Ab vom Argument des Klimaschutzes begründet ein weiteres Argument oft die Forderung nach einem Tempolimit: Das das Haupt- und gleichzeitig moralisierte Totschlagargument der Sicherheit. „Ab einem Tempo von 130 km/h hat keiner mehr sein Fahrzeug sicher unter Kontrolle. Er gefährdet Leib und Leben Dritter.“ oder “Über 130 km/h rast man sich eh nur zu Tode.” Solch Formulierungen sind es, die man oft zu hören bekommt. Doch ist das so? 

Im Jahr 2019 verunglückten 3046 Menschen im deutschen Straßenverkehr tödlich. 8 Das sind 228 Opfer weniger als noch im Jahr 2018 und damit der tiefste Stand seit einigen Jahren 9 Auch das Jahr 2020 scheint auf dem besten Weg eine weitere Tiefmarke zu setzten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die weltweite Covid-19-Pandemie erheblichen Einfluss auf das Verkehrsaufkommen in Deutschland hat.  Aufgrund dieses verringerten Aufkommens sind die Zahlen des ersten Halbjahres so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.10 Und dennoch: Es haben 2019 über 3000 Leute ihr Leben auf deutschen Straßen gelassen. Wo passieren diese tödlichen Unfälle? Von diesen 3046 Opfern verunglückten im Jahr 2019 nur knapp 11,7%, genauer 356 Menschen, auf den Bundesautobahnen. 11 Weiter verunglückten in diesem Zeitraum nur 115 Menschen bei Geschwindigkeitsunfällen auf Autobahnen tödlich. Geschwindigkeitsunfälle sind dabei “Unfälle, bei denen mindestens einem der Beteiligten “nicht angepasste Geschindigkeit” vorgeworfen wurde”. Das sind etwa 3,8 % der gesamten Verkehrstoten.12 Vergleicht man die Unfallzahlen von Bundesautobahnen mit unseren Nachbarländern, die alle statische Tempolimits haben, so fällt eines auf: Deren Zahlen sind keinen Deut besser. Ganz im Gegenteil, sie sind sogar meist schlechter. Vergleicht man die durchschnittliche Anzahl an Toten auf Autobahnen im Zeitraum 2011 bis 2013, in welchem die Zahlen in Deutschland noch deutlich schlechter waren als heute, so starben in Deutschland durchschnittlich 1,9 Menschen auf 1 Mrd. gefahrenen Autobahn-Kilometer. Ganze zehn europäische Länder, mit Tempolimits zwischen 90 km/h und 140 km/h wiesen einen höheren Wert auf. 13

Erneut erkennt man: Das Argument der Sicherheit ist ebenfalls keines von enormer Gewichtigkeit für ein Tempolimit. Wunsch und Wirklichkeit im Hinblick auf die positiven Effekte, die man sich von einem Tempolimit erhofft würde, klaffen auseinander.  

Deutschland ohne Tempolimit, weil …

Handelt es sich bei der Forderung nach einem generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen also um eine rein ideologische Forderung? Nein. Wie bisher angeführt, gibt es Argumente für ein Tempolimit. Auch wenn juristisch wohl relativ problemlos durchsetzbar, so ist ein Tempolimit aus politisch liberaler Sicht abzulehnen. Die angeführten Argumente stellt meiner Meinung nach keine ausreichende Rechtfertigung für ein solches Tempolimit dar. 

Zum Erreichen der Ziele Klimaschutz und Schutz des menschlichen Lebens im Straßenverkehr gibt es mildere und gleichsam wirksamere Mittel als das Tempolimit. Auch wenn diese zwei zentralen Argumente sicherlich einen legitimen Zweck verfolgen und auch geeignet sind um die, natürlich auch aus liberaler Sicht erforderlichen Ziele von Klimaschutz und Minderung von Verkehrstoten zu erreichen, so scheint ein Tempolimit aus liberaler Sicht nicht angemessen. Die Förderung von klimaneutralen Möglichkeiten zur Beförderung und die Ausweitung und Stärkung des Emissionshandels bis zur Zapfsäule sind liberale Ansätze, mit denen Emissionen verringert werden würden und gleichzeitig die Freiheit des Bürgers aufrecht erhalten wird. Auch der Schutz von Verkehrsteilnehmern und die möglichst effektive Senkung von Verkehrstoten lässt sich erreichen, ohne jene Freiheit einzuschränken. Eine Digitaloffensive im Straßenverkehr scheint die effektivste Möglichkeit zur Erreichung dieser Ziele. Intelligente Verkehrsleitsysteme könnten dynamische und an die Verkehrslage angepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen einrichten und so Unfallzahlen reduzieren. Außerdem: Wenn ein Limit dynamisch geregelt ist, wissen die Leute, dass eine etwaige Begrenzung einen Grund hat und werden diese entsprechend ernster nehmen. Außerdem könnten solche Systeme präventiv gegen Staubildung wirken und so auch Klimaschutzzwecke erfüllen.

Die Existenz besserer Alternativen führt dazu, dass aus liberaler Sicht große Zweifel an der Angemessenheit eines Tempolimits bestehen. Es gilt: “In dubio pro libertate” und daher: Nein zum Tempolimit! 


  1. https://www.autozeitung.de/tempolimit-120-autobahn-195623.html#studie:_mehrheit_der_deutschen_f_uuml_r_nbsp_ein_tempolimit[]
  2. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#emissionsentwicklung-1990-bis-2018[]
  3. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-06-15_texte_38-2020_wirkung-tempolimit_bf.pdf S.12[]
  4. ebda. errechnet aus S.12[]
  5. ebda. S.12[]
  6. https://www.tagesschau.de/inland/tempolimit-umweltamtbundes-studie-101.html[]
  7. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-06-15_texte_38-2020_wirkung-tempolimit_bf.pdf S.29[]
  8. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/_inhalt.html#sprg230058[]
  9. https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/unfallstatistik-2018/[]
  10. https://www.spiegel.de/auto/deutschland-zahl-der-verkehrstoten-sank-im-mai-auf-niedrigsten-stand-seit-der-wiedervereinigung-a-37f1f700-2964-4e5b-89cb-c653349ce4e2[]
  11. https://www.dvr.de/service/unfallstatistik/unfaelle-auf-autobahnen[]
  12. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/verkehrsunfaelle-jahr-2080700197004.pdf?__blob=publicationFile[]
  13. https://de.statista.com/infografik/16765/todesfaelle-auf-autobahnen-im-europa-vergleich/[]

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