Vom Mietendeckel und anderen Preiskontrollen
Rom, 301 n. Chr.: Besorgt ob des enormen Preisanstiegs für Lebensmittel schreibt Kaiser Diokletian Preise für Lebensmittel und andere Güter fest. Da der Höchstpreis unterhalb des Marktpreises lag, hörten die Bauern der umliegenden Ländereien auf, Lebensmittel in die Stadt zu bringen. Rom leidet Hunger. Die Anwendung des Edikts wird ausgesetzt, Diokletian dankt wenige Jahre später ab.
Pennsylvania, 1777 n. Chr.: Um die Versorgung der noch jungen US-Armee zu gewährleisten, werden Preiskontrollen auf alle für die Versorgung notwendigen Güter erlassen. Daraufhin verkauften die Bauern lieber an die Briten, die keine derartigen Kontrollen erlassen hatten. Die Versorgungslage der Armee wurde katastrophal. Die Preiskontrollen werden ein Jahr später vom Kongress widerrufen.
Berlin, 2020 n. Chr.: In Anbetracht der steigenden Mieten beschließt der Berliner Senat einen Höchstpreis für Mieten – den Mietendeckel. Ob diese Geschichte diesmal anders ausgeht als dutzende andere Eingriffe in den Preismechanismus, wird die Zeit zeigen. Die Zeichen stehen jedoch schlecht.
Bei kaum einem Thema sind sich Ökonomen so einig wie über die negativen Effekte von Mietendeckeln und anderen Preiskontrollen. Mehr als 93% der Ökonomen sind der Übereinstimmung, dass solch ein Gesetz das Angebot reduziert und die Qualität der angebotenen Häuser verschlechtert.1 Der vor kurzem verstorbene schwedische Ökonom Assar Lindbeck bezeichnete Eingriffe in die Mietpreise sogar als die zweiteffektivste Art, eine Stadt zu zerstören – nach der Bombardierung.
Was genau passiert aber, wenn eine Regierung einen effektiven Höchstpreis (d.h. einen gesetzlich festgelegten maximalen Preis, der unter Marktpreis liegt) veranlasst?
Zuerst schaltet sie mit einem Mal die beiden wichtigsten Funktionen freier Marktpreise aus: Die Informationsfunktion, die u.a. den Anbietern signalisiert, ob ein Gut nachgefragt wird, und die Lenkungsfunktion, die dafür sorgt, dass Güter effizient verteilt werden.
Hohe Preise zeigen Anbietern, dass es sich lohnt, Angebot zu schaffen, das heißt Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Schaltet man dieses Signal durch einen künstlich niedrigen Höchstpreis aus, werden weniger Mietwohnungen angeboten. In Berlin sank die Anzahl der angebotenen Mietwohnungen von 2019 bis 2020 um rund 25%. Besonders stark war der Einbruch bei Wohnungen mit Baujahr vor 2014, dort wurden 50% weniger Wohnungen angeboten. Genau dies sind diese Einheiten, bei denen der Mietendeckel greifen soll.2 Aber auch der Bau neuer Wohneinheiten stockt – zwar sind diese nominell nicht vom Mietendeckel erfasst, aber die durch den Mietendeckel verursachte Rechtsunsicherheit schreckt vor allem Großinvestoren ab. Denn die denken – vor allem bei Immobilien – in Zeiträumen von Dekaden. 3 Und wer sagt, dass in fünf Jahren der Mietendeckel nicht auch auf den Neubau von heute angewendet wird?
Gleichzeitig signalisiert man aber dem Nachfrager, dass Wohnungen für ihn erschwinglich seien – die Nachfrage nach Wohnungen steigt also. Das Ergebnis ist ein Nachfrageüberhang. Es werden weit mehr Mietwohnungen nachgefragt, als zur Verfügung stehen. Das Ergebnis sind Warteschlangen und sinkende Mobilität in der Stadt – da man keine neue Wohnung findet, bleibt man in der alten. Das führt dazu, dass Rentnerehepaare in ihrer 5-Zimmerwohnung bleiben, während die verzweifelt suchende junge Familie sich mit einem 3-Zimmer Appartement begnügen muss – eine klassische Fehlallokation. Der Mietendeckel friert nicht nur die Preise ein, er friert die ganze Stadt ein. 4
Ein Blick über die Ostsee nach Schweden zeigt, wozu Mietendeckel in einer Hauptstadt führen können. Rund 550.000 Menschen warten auf eine Mietwohnung in Stockholm. Das sind mehr als 5% der schwedischen Gesamtbevölkerung, die zwischen zehn und dreißig Jahre auf ihre Wohnung warten muss. Die Situation ist so schlimm, dass Spotify und andere junge Unternehmen angedroht haben, Stockholm zu verlassen und – welch Ironie! – nach Berlin zu ziehen. 5
Der Verlust der Lenkungsfunktion des offiziellen Preises sorgt dafür, dass die Zuteilung der Wohnungen nicht mehr nach der offiziellen Miethöhe erfolgt (was einige als Erfolg feiern mögen), sondern nach anderen Kriterien. Das kann zum einen das bewährte „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“-Konzept sein, oder aber auch andere Kriterien, wie astronomische Ablösegelder für Wohnungen – oder die darin enthaltenen Einrichtungsgegenstände. Und gerade einkommensschwache Mieter werden diese Ablösen nicht aufbringen können. Der mietensenkende Effekt könnte also völlig verpuffen.
In Quintessenz ist der Mietendeckel eine partielle Prohibition – nämlich das Verbot Güter zum Marktpreis anzubieten. Und wie jede Prohibition sorgt er für Schwarzmärkte. Die eben erwähnten Ablösen gehören dazu, aber auch Untermietverträge. So ist es beispielsweise in New York nicht unüblich, dass Mieter auch nach Auszug aus der Wohnung den Mietvertrag nicht auflösen und die Wohnung für ein Vielfaches des „offiziellen“ Mietpreises weitervermieten. Solche Untermietverhältnisse sind schwer zu kontrollieren, man bräuchte in einer Millionenstadt einen enormen Bürokratieapparat. Oder man setzt auf „Nachbarschaftshilfe“ – aber möchte man das gesellschaftliche Klima in der Stadt wirklich so vergiften?
Fügt man alle Puzzleteile zusammen, scheint nur eine Gruppe wirklich vom Mietendeckel zu profitieren: Diejenigen mit bereits bestehenden Mietverträgen, die nun unter den Mietendeckel fallen. Aber profitieren diese wirklich? Die nun sinkende Miete – und die fehlende Aussicht in Zukunft höhere Mieteinnahmen zu generieren, führen dazu, dass dem Vermieter Geld, Willen oder beides fehlt, Verbesserungen am Objekt durchzuführen. Der Mieter profitiert also von sinkenden Preisen, wohnt gleichzeitig aber nun in einem langsam verfallenden Haus.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Mietendeckel mehr schadet als nutzt. Vor allem aber sind folgende Gruppen betroffen:
Vermieter, da diese durch den Deckel weniger Einnahmen generieren und das Vertrauensverhältnis zwischen Vermieter und Mieter nachhaltig leidet. Neumieter, da diese es auf offiziellem Wege schwerer haben, Wohnungen zu finden und damit erhöhte Suchkosten haben. 6 Und auch bisherige Mieter, da die Qualität ihrer Wohnungen leidet. Vor allem aber leidet das Gesellschaftsklima. Im Zuge der Einführung des Mietendeckels wurden Vermieter als profitgierige Miethaie diffamiert, die nur am eigenen Gewinn und nicht am Wohle ihrer Mieter interessiert seien. Vor allem dieser Schaden wird noch lange nachwirken. Denn ist das Gift einmal im Brunnen, bekommt man es schwer wieder heraus.
Wieso sind Preiskontrollen trotz ihrer bekannten negativen Effekte so beliebt? Der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman sagt sinngemäß: „Wenn sich Ökonomen einmal einig sind, dann hört niemand auf sie.“ Dies ist auch beim Mietendeckel der Fall. Denn die negativen Effekte des Mietendeckels treten oft nicht sofort zutage, während der beabsichtigte Effekt „niedrigere Mieten“ schnell als Erfolg verkündet werden kann. Die versteckten Kosten finden aber in der offiziellen Kommunikation keine Erwähnung. Daher eignet sich der Mietendeckel perfekt für populistische Politik.
Es sollte klar sein, dass hohe Mieten zu sozialen Verwerfungen führen können. Daher sind sie ein Problem, welches angegangen werden muss. Aber man sollte nicht den Fehler machen, sozialen Fortschritt durch Ausschalten der Marktmechanismen zu erreichen. Man sollte sich vielmehr die Marktmechanismen zu Nutze machen, um eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Dabei sollte man sowohl Angebots- als auch Nachfrageseite adressieren.
Auf der Angebotsseite präsentiert sich eine einfache Lösung: Neues Angebot durch sozialen Wohnungsbau oder die Freigabe von Bauland. Weiterhin sollte überprüft werden, wie viele der tausenden Bauvorschriften in Deutschland tatsächlich benötigt werden und welche zur Preissteigerung beitragen. Vielleicht könnte auch eine Senkung der Grund- und Grunderwerbssteuer die Preisexplosion auf dem Mietmarkt bremsen.
Interventionen auf Nachfrageseite sind schwieriger – denn der Sog der Großstadt ist schwer zu stoppen. Dennoch sind auch hier Maßnahmen denkbar. Zum einen könnte man den öffentlichen Nahverkehr in die umliegenden Gebiete stärken. So könnte man gleichzeitig die Peripherie der Stadt stärken, andererseits den Leuten ermöglichen, in Berlin zu arbeiten, ohne dort zu wohnen. Auch die verstärkte Möglichkeit zur Heim- bzw. Telearbeit kann dazu beitragen. Allerdings kann Heimarbeit und Verdrängung in die Außenbezirke nicht die einzige Antwort sein, denn ein Krankenpfleger oder eine Verkäuferin können schwer von zuhause arbeiten. Hier könnte ein zielgerichtetes Wohngeld helfen, das die unterstützt, die es wirklich benötigen.
Es bleibt die Hoffnung, dass der Mietendeckel gestoppt wird, bessere Maßnahmen ergriffen werden und dass die Verantwortlichen dem Beispiel Diokletians folgen. Denn der römische Kaiser betätigte sich nach seiner Abdankung als Landwirt in Salonae. Ich denke, dass auch in Brandenburgs Äckern der Kohl gut sprießen würde.
Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung des Gastautors wider.
- https://gregmankiw.blogspot.com/2009/02/news-flash-economists-agree.html?m=1[↩]
- https://www.wiwo.de/politik/deutschland/berliner-mietendeckel-25-prozent-weniger-mietwohnungen-/26099082.html[↩]
- So wartet beispielsweise die OFB-Projektentwicklung verzweifelt auf Investoren für Neubauten: https://www.bz-berlin.de/berlin/charlottenburg-wilmersdorf/friedenauer-hoehe-investor-fehlt-1000-berliner-wohnungen-in-der-warteschleife[↩]
- Mehr zur sinkenden Mobilität durch den Mietendeckel kann man hier finden: https://elibrary.worldbank.org/doi/abs/10.1596/1813-9450-1968[↩]
- https://www.thelocal.se/20160413/startups-plan-protest-after-spotify-shouts-for-housing-help[↩]
- Die Suchkosten können sogar so hoch sein, dass sie den positiven Effekt des Mietendeckels weit übersteigen, siehe analog hier: https://documents.worldbank.org/en/publication/documents-reports/documentdetail/528531468776389780/the-welfare-costs-of-price-controls-for-cars-and-color-televisions-in-poland-contrasting-estimates-of-rent-seeking-from-recent-experience[↩]