Pausenhof, Cafeteria, Kantine oder Mensa – Bekanntschaften, die zu Freundschaften werden; Gespräche, aus denen sich die Pläne für den Abend oder das Wochenende entwickeln; Diskussionen über Öffentliches und Privates. In welchem Handout stand nochmal dies und jenes? Bis wann muss die Hausarbeit abgegeben sein? Und wie in aller Welt ist eigentlich zu verstehen, was die Professorin oder der Lehrer da eben gerade erzählt hat? Diese Szenen sind Alltag an Schulen, Berufsschulen, Hochschulen und Universitäten. Und sie gehören mindestens genauso zur Bildung und Ausbildung wie das Erlernen des Stoffs. Bildung ist nicht nur das Einüben von Techniken und das Erlernen von Wissen. Bildung ist auch die Chance auf individuelle und soziale Entwicklung. Gerade junge Menschen reifen als Persönlichkeiten an Begegnungen, weil sie mehr über sich selbst erfahren und Bindungen fürs Leben schließen.
Genau diese Begegnungen fehlen jungen Menschen während der Corona-Pandemie. So gut wie jeder Erwachsene kann ermessen, worauf junge Menschen gerade verzichten müssen. Man kann vieles digitalisieren – Partys und gemeinsame Abende im Club und in der Bar nicht. Statt an Abi-Partys, Studienfahrten und Orientierungsphasen teilzunehmen, sind junge Menschen zur digitalen Einsiedelei gezwungen. Diese Isolation macht einsam und führt bei zu vielen zu echten psychischen Belastungen. Hinzu kommen handfeste Zukunftsängste, Sorgen um die Gesundheit von Angehörigen und die allseits bekannte Angst, sich und andere anzustecken.
Es fallen aber nicht nur die persönlichen Begegnungen während der Schulzeit weg – es fällt nun für das zweite Jahr in Folge der entscheidende Freiheitsgewinn am Ende der Schulzeit weg. Der Auszug von zu Hause, die erste eigene Wohnung, das erste selbst verdiente Geld, Praktika, Freiwilligendienste, Nebenjobs und Auslandsaufenthalte – darauf hatte man sich in den letzten Jahren und Monaten der Schulzeit gefreut. Doch oftmals führt die Pandemie dazu, dass der Umzug in eine neue Stadt erstmal ausfällt und die Praktika vor Ausbildung oder Studium nicht stattfinden können. Und dass ein Betrieb, der gerade die Stammbelegschaft in Kurzarbeit schicken muss, neue Ausbildungsplätze schafft, ist im Jahr 2021 ebenso ungewiss wie die Möglichkeit, sich im ersten Uni-Semester einfach mal in eine fachfremde Vorlesung zu setzen, um zu testen, ob man nicht doch das falsche Fach studiert.
Die Politik kann nicht auf jedes dieser Probleme eine Antwort finden. Doch einige entscheidende Weichenstellungen sollte sie vornehmen: Lernrückstände müssen zügig aufgeholt werden können. Studierende, deren Lehrveranstaltungen momentan ausfallen, sollten während der Pandemie als „Lern-Buddys“ unbürokratisch an Schulen eingesetzt werden können. Lehramts-Studierenden könnten dafür sogar Leistungspunkte angerechnet werden. Für Auszubildende könnten bis zum Ende der Corona-Pandemie Steuern und Sozialabgaben entfallen, auch um für mehr Ausbildungsplätze in den Betrieben zu sorgen. Und bei der Studienfinanzierung sollten wir endlich zu einem elternunabhängigen Baukasten-BAföG kommen, das ein für alle Mal Studium und soziale Herkunft auseinanderhält. Die Regelstudienzeit sollte ohne viel Aufhebens verlängert werden, ohne dass Studierende Einbußen beim BAföG-Anspruch erleiden. Die bestehenden Angebote in Schule, Ausbildung und Studium, sich bei psychischen Probleme Hilfe zu holen, müssen evaluiert und ausgebaut werden. Geplante Erasmus-Semester müssen unbürokratisch nachgeholt werden können – und auch diejenigen, die bisher keine Chance hatten, einen geförderten Aufenthalt im europäischen Ausland zu absolvieren, sollten die Möglichkeit dazu bekommen. Auch mit Blick auf die Freiwilligendienste müssen Bund und Länder nachlegen. Viele junge Menschen überbrücken die Zeiten bis zum Ausbildungs- oder Studienbeginn momentan etwa mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Bundesfreiwilligendienst. Der Zugang zu den Freiwilligendiensten muss vereinfacht und an die aktuellen Bedürfnisse der Corona-Pandemie angepasst werden. Statt über soziale Pflichtjahre zu fantasieren, sollte die Politik die Möglichkeit schaffen, Freiwilligendienste zur Unterstützung von Impfzentren und zur Entlastung von Pflegekräften zu absolvieren.
Außerdem bedarf es endlich einer Dynamisierung bei den so genannten Minijobs. Sie sind die einzige, halbwegs unkomplizierte Möglichkeit, sich in Deutschland etwas dazuzuverdienen. Das betrifft gerade viele Jüngere, die als Schülerinnen und Schüler oder Studierende oft Minijobber sind. Doch obwohl in Deutschland so gut wie jede Einkommensgrenze dynamisiert ist, damit öffentlichen Kassen keine Einnahmen entgehen, sind Minijobs seit bald zehn Jahren bei 450 Euro pro Monat gedeckelt. Bei steigendem Mindestlohn müssen Minijobber also ihre Stundenzahl reduzieren, während alle anderen Beschäftigten mehr Geld in der Tasche haben. Wegen der Inflation gibt es für das gleiche Geld außerdem immer weniger Gegenwert. Und weil die Anrechnung von eigenem Einkommen beim BAföG-Anspruch mit der Minijob-Grenze korreliert, werden so Selbstständigkeit und Fleiß derjenigen besonders bestraft, die sich höhere Bildung unabhängig von der Herkunft erarbeiten wollen. Von den starren geltenden Regeln wird daher gerade die junge Generation komplett in die Zange genommen. Die Lösung: Der Bund hebt die Verdienstgrenze für Minijobs sofort auf 570 Euro an. Künftig steigt die Grenze danach automatisch mit der Entwicklung des Mindestlohns.
Doch es kommt nicht allein auf die Politik an. Junge Menschen sollten auch selbst die Hoffnung nicht verlieren. Die Zermürbung im Dauer-Lockdown spürt jeder an sich selbst. Das Impfmanagement ist eine Katastrophe – die ritualisierten Corona-Debatten mittlerweile auch. Aber dennoch gibt es Gründe für einen vorsichtigen Optimismus: Die Impfkampagne wird früher oder später auch in Deutschland ihre Wirkung entfalten. Wir werden uns wieder treffen und in den Arm nehmen können. Die Lust auf den kommenden Sommer muss nicht vergebens sein. All diejenigen, die in den vergangenen Monaten als junge Menschen auf entscheidende Erfahrungen verzichten mussten, werden zumindest Teile davon nachholen können. Es ist an den jungen Menschen selbst, davon Gebrauch zu machen. Aber es ist an der Politik, die Perspektive junger Menschen nicht länger auszuklammern.
Der Gastbeitrag spiegelt die Meinungen der Gastautoren wider.