Erst vergiftet, dann eingesperrt – das Schicksal Alexei Nawalnys ist kein Einzelfall, sondern passt in ein Muster innen- und außenpolitischer Gräueltaten des russischen Regimes. Egal ob das Niederknüppeln friedlicher Demonstranten, die Finanzierung von rechtsextremen Parteien in Europa oder Despoten im Ausland, der Vergiftung und Inhaftierung von Oppositionellen oder die völkerrechtswidrige Annexion der Krim – der autoritäre Geist Putins und seiner Gefolgschaft ist klar ersichtlich.
Trotz dieses politischen Faktums gibt es in Deutschland nicht wenige Politiker, die durch fehlende Distanz zum Kreml auffallen. Dabei sind es nicht nur die politischen Ränder, die sich als Verteidiger Russlands profilieren. Nein, auch in der politischen Mitte sind diese Muster paradoxerweise zu erkennen. Insbesondere SPD und CDU sind in den letzten Wochen wegen bekannter Russlandverklärer in den Schlagzeilen. SPD-Parteivorsitzender Walter-Borjans und die mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin Schwesig (SPD) auf der einen, und der neu gewählte CDU-Chef Armin Laschet auf der anderen Seite. Alle drei vereint, dass sie an Nordstream 2 festhalten wollen und bei dessen Verteidigung die politischen Verbrechen des Kremls konsequent ausblenden. Gleichzeitig sind die Argumente, die sie für das deutsch-russische Pipeline-Projekt vorbringen, oft an Unverschämtheit nicht zu überbieten.
So wird zum Beispiel argumentiert, dass man Nordstream 2 nicht mit den Ereignissen um Nawalny verknüpfen dürfe. Bei solchen Thesen, die unter anderem von Walter-Borjans vertreten werden, kann man nur den Kopf schütteln. Nein, man kann Nordstream 2 nicht von Putins Verbrechen trennen. Nein, man kann Freihandelsabkommen mit China nicht von den in Umerziehungslagern weggesperrten Uiguren trennen. Und nein, man kann Waffenexporte nach Saudi-Arabien oder in die Türkei nicht von ihren außenpolitischen Vergehen trennen. Diese Annahmen entbehren jeder Logik. Bei internationaler Wirtschaftspolitik können nicht die Vergehen der Handelspartner ignoriert werden. Freiheit und Menschenrechte stehen vor den Interessen der Wirtschaft, gerade bei einer wertebasierten Außenpolitik. Dass Sozialdemokraten, die sonst lautstark für Lieferkettengesetze plädieren, dieses Argument bei Nordstream 2 konsequent ignorieren, ist bemerkenswert.
Noch bemerkenswerter sind die Äußerungen Schwesigs, die richtigerweise feststellt, dass es bei einer Pipeline aus Skandinavien weniger Kritik geben würde und dahinter “Vorbehalte” gegenüber Russland vermutet. Woran das wohl liegen könnte? Nicht etwa, weil unsere skandinavischen Partner lupenreine Demokratien sind? Nicht etwa, weil unsere skandinavischen Partner keine Oppositionellen vergiften, einsperren und ermorden? Nicht etwa, weil unsere skandinavischen Partner keinen Faible für eine expansive Außenpolitik haben? Allein die Idee, man könne Skandinavien mit Russland vergleichen, ist fragwürdig genug. Dass im gleichen Satz dazu noch versucht wird, Kritik gegenüber Russland als unsachliche Kritik gegenüber Nordstream 2 zu diskreditieren, ist noch unverschämter.
Auch interessant sind die Äußerungen der schwesig-nahen Lilly Blaudszun (SPD), die die Umfragewerte in Mecklenburg-Vorpommern zu Schwesig und zu Nordstream 2 als ein Argument für den Bau der Pipeline anführt. Gute Umfragewerte in Bundesländern sind ja ganz nett, sie aber als Rechtfertigung bei zentralen geopolitischen Fragen zu sehen, ist anscheinend die sozialdemokratische Form des Nationalismus. Blaudszuns Äußerung, dass in Mecklenburg-Vorpommern die Kontroverse um das Projekt niemanden interessieren würde, passt ins Bild. Von Jusos, die sonst durch Slogans wie “no nations no borders” auffallen, könnte man eigentlich mehr erwarten. Dass man bei einem Projekt mit solcher Tragweite lieber auf lokale Umfragewerte verweist, anstatt sich mit den Bedenken unserer (ost)europäischen Partner auseinanderzusetzen, zeigt letztlich nur, dass die proeuropäische Haltung mancher Sozialdemokraten eine reine Fassade ist. Im Zweifel versteckt man sich lieber hinter nationalistischen Strohmännern. Dazu passt auch das Abstimmungsverhalten im europäischen Parlament, in dem eine Querfront aus CDU, AfD, Linkspartei und SPD gegen einen sofortigen Baustopp der Pipeline stimmte. Dass ein überwiegender Teil der Stimmen gegen den Stopp aus Deutschland kam, steht exemplarisch für den deutschen Alleingang.
Ist es naive Nostalgie zu sozialliberaler Entspannungspolitik in den 70er Jahren? Ist es eine reine Fokussierung auf wirtschaftliche Interessen und Arbeitsplätze und die damit einhergehende Ausblendung aller Verbrechen des russischen Regimes? Ist es die Herbeisehnung eines starken Mannes als Anführer, wie Putin ihn verkörpert? Die Motive sind sicherlich unterschiedlich, auffällig ist allerdings eine Doppelmoral, von der besonders die linke Verteidigung geprägt ist. Wer sich als “Antifaschist” hinter die Interessen Russlands stellt, kann kein Antifaschist sein. Wer als “Antifaschist” Pipelines von Gazprom verteidigt, muss wissen, dass mit diesem Geld später rechtsradikale Parteien in Europa finanziert werden. Russlandkuschelei und Antifaschismus sind ein Widerspruch in sich. Bei der Linkspartei wundert einen eine solche Doppelmoral nicht, bei Sozialdemokraten jedoch umso mehr.
Seit gestern wird in Russland gestreikt: Gegen Putin und seine Gefolgschaft und für die Freiheit Nawalnys. Die vielen Festnahmen und das Niederknüppeln friedlicher Proteste zeigen uns einmal mehr, wie der autoritäre Geist des Kremls Russland bestimmt. Die Demonstranten verdienen unsere Unterstützung, russische Pipelines und Putin-Oligarchen nicht. Der Kampf für Freiheit und Menschenrechte endet nicht an Ländergrenzen.