Auf dem Bundesparteitag 2020 der Freien Demokraten wurde auf Antrag der Jungen Liberalen die Forderung nach dem Wahlrecht ab 16 beschlossen. Das ist zwar ein guter Schritt, im Prinzip aber nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung – denn essentielle demokratische Bürgerrechte dürfen nicht vom Alter abhängig gemacht werden.
Das Kind im demokratischen Rechtsstaat
In einem demokratischen Rechtsstaat hat ein Kind grundsätzlich die gleichen Rechte wie ein Erwachsener. Elementare Bürgerrechte wie Menschenwürde oder Handlungsfreiheit gelten ab Geburt. Natürlich können diese aufgrund des Alters eingeschränkt werden – dies aber aus gutem Grund.
Ein gutes Beispiel hierfür sind die Beschränkungen beim Kauf alkoholischer Getränke oder beim Erwerb des Führerscheins. Die beruhen jedoch auf unbestreitbarer naturwissenschaftlicher Evidenz. Kinder sind vor Erreichung eines bestimmten Alters selbstverständlich nicht in der Lage, verantwortungsvoll mit Alkohol umzugehen oder ein Fahrzeug im Verkehr sicher zu führen. Alkohol ist für Kinder bedeutend gefährlicher als für Erwachsene. Komplexe Verkehrssituationen sind für Kinder kognitiv und bis zu einem gewissen Alter auch aufgrund ihrer Körpergröße schwierig zu überblicken. Zudem ist das Vermögen von Kindern, sich an (Verkehrs-)Regeln zu halten, noch nicht so stark ausgeprägt.
Doch wie sieht es beim Wahlrecht aus? Schadet es einem Kind, wählen zu dürfen? Offenkundig ist das nicht der Fall. Gefährdet ein Kind durch die Ausübung seines Wahlrechts andere? Wenn es extremistische Parteien wählt, kann das möglicherweise mittelbar der Fall sein. Ein Grund dagegen? Nein. Auch Erwachsene bemühen sich bei jeder Wahl aufs Neue, ihre Altersklasse in dieser Disziplin zu blamieren und gehen solchen Kräften auf den Leim. Es gibt keinen Grund, Fehleinschätzungen Erwachsener hier anders zu behandeln als die von Kindern, denn für das Resultat seiner individuellen Wahlentscheidung muss kein Mensch haften – auch kein Erwachsener.
Kein Familienwahlrecht
Bevor wir uns falsch verstehen: Ich plädiere nicht dafür, dass Eltern für ihre Kinder das Wahlrecht ausüben sollten. Das wäre allein aus Gründen der Wahlrechtsgleichheit falsch. Kein Mensch hat das Recht auf eine Stimme, die mehr wert ist als die irgendeines anderen. Egal, ob anhand des Vermögens, Geschlechts oder der Anzahl der Kinder differenziert wird – jede Stimme muss gleich zählen.
Ein Kind, das physisch noch nicht in der Lage ist, ein Kreuz bei der von ihm ausgesuchten Partei zu machen, kann sein Wahlrecht demnach nicht wahrnehmen – genauso, wie ein Berufsunfähiger seine Berufsfreiheit aus naheliegenden Gründen nicht (vollständig) wahrnehmen kann. Wenn das Kind jedoch die Entscheidung trifft, sein Wahlrecht wahrnehmen zu wollen – was spräche dafür, ihm dies zu verwehren?
Gründe dagegen?
Die Argumente gegen Absenkungen des Wahlalters sind meistens lediglich vorgeschoben: „Die wählen alle die Grünen“ – das Wahlergebnis als Argument gegen die Gewährung eines Bürgerrechts? That’s not how democracy works. „Kinder sind beeinflussbar“ – Erwachsene nicht? Die rechtspopulistische AfD schneidet in der Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen am besten ab. „Ich hatte mit [hier beliebiges Alter einfügen] noch keinen guten Politikunterricht in der Schule!“ – Manche haben den in ihrem ganzen Leben nicht.
Es zeigt sich: Nichts Stichhaltiges, nichts wirklich Durchdachtes. Letztendlich ist es bloß konservative Phrasendrescherei. Die Argumente werden universell gegen jede Forderung nach einer Absenkung des Wahlalters angeführt – sei es auf 16, 14, oder 0. Alternativ dienen sie auch gerne als Fundament für die Forderung nach einem Wahlrecht ab 21 – eine ebenso willkürlich gewählte Altersmarke.
Reicht 16 nicht?
Das Wahlrecht ab 16 wäre ein guter erster Schritt in die richtige Richtung. Es ist aber nicht konsequent. Wenn man zumindest das Wahlrecht an die Volljährigkeit koppeln und diese entsprechend mitsenken wollen würde, würde man immerhin halbwegs Nägel mit Köpfen machen. Dennoch bleibt die Frage: Welches stichhaltige Argument gibt es, dieses Bürgerrecht von irgendeinem Alter abhängig machen zu wollen? Warum nicht 14, 15 oder 17? Wissenschaftliche Evidenzen hierfür gibt es nicht.
Man kann sagen, was man möchte – es mag einen “traditionsbedingten Grund” geben – aber letztendlich sind all diese Zahlen völlig aus der Luft gegriffen. Nichtsdestotrotz würde das Wahlrecht ab 16 dafür sorgen, dass vielen Menschen ein elementares demokratisches Bürgerrecht nicht weiter vorenthalten wird. Es ist daher unterstützenswert, kann aber nicht das Ende vom Lied sein.
No taxation without representation
Zuletzt muss bedacht werden, dass der Wähler darüber entscheidet, wie sein Geld durch den Staat ausgegeben wird. Und dieses Geld ist auch das Geld von Kindern. Ja, es gibt Minderjährige, die bereits Steuern zahlen. Sei es die Abgeltungsteuer durch von den Eltern angelegte Konten oder Depots, die Grundsteuer bei geerbten oder überschriebenen Immobilien, oder die Einkommensteuer des 16-jährigen Start-Up-Gründers oder Aushilfsjobbers. Außerdem nimmt der Staat den Kindern mittelbar durch die Besteuerung ihrer Eltern mögliche Unterhaltsansprüche. Und nicht zuletzt bedingen politische Entscheidungen von heute die Fiskalpolitik von morgen. Der Grundsatz No Taxation without Representation muss daher auch für Kinder gelten. Dementsprechend ist es urdemokratisch, auch ihnen das Wahlrecht zuzusprechen.
Bürgerrechte first, Bedenken second
Es kann nur eine Konsequenz geben: Jeder Mensch, der mündig genug ist, zur Wahl gehen zu wollen, muss dies auch tun dürfen – altersunabhängig. Wer essentielle Bürgerrechte konsequent gewährleisten will, muss das Wahlrecht ab Null unterstützen.