Das Wahlalter ab 16 Jahren ist für viele Menschen ein empfindliches Triggerthema. Tritt man in Deutschland diese Debatte an, sammelt sich gerade bei Konservativen schnell der Schaum vor dem Mund. Unreif und naiv sollen die potenziellen Wähler sein. Denn sie könnten die Folgen ihrer Wahl ja nicht abschätzen. Es wäre reine links-grüne Wahlhilfe. Doch die Argumente gegen das Wahlalter ab 16 sind naiv und teilweise demokratisch fragwürdig.
Es geht doch! Ein Blick über den Tellerrand
Zuallererst einmal gibt es auch Konservative, die diese Thematik völlig anders beurteilen. Und das bereits seit 2007. Denn damals senkte eine auch konservative Mehrheit im österreichischen Nationalrat das Wahlalter auf Bundesebene von 18 auf 16. Argumentation? „Gerade in einer alternden Gesellschaft wäre eine offensive Notwendigkeit auf die junge Generation zuzugehen“, so der damalige ÖVP-Vizekanzler Wilhelm Molterer. Österreich war damals Vorreiter, denn es war das erste EU-Mitglied, das das Wahlalter unter die Volljährigkeit senkte. Gleichzeitig verbunden war damit auch eine klare Ansage an das Schulsystem, das nun vor einer besonderen Herausforderung an die politische Bildung stehe und diese entsprechend forcieren müsse. Konservative in Deutschland haben sich mehrheitlich bis heute nicht zu dieser Argumentation durchgerungen, obwohl gerade die Frage des demographischen Wandels in unserem Land sogar noch dringlicher ist.
Vereinzelt auf Landes- und Kommunalebene dürfen junge Menschen bereits mitbestimmen. In keiner der genannten Strukturen ist übrigens seither eine uneinholbare links-grüne Mehrheit eingetreten. Auch ich konnte bereits bei der Landtagswahl in Brandenburg wählen. Dass junge Menschen pauschal von der Wahl ausgeschlossen sind, ist ihnen gegenüber in vielerlei Hinsicht nicht fair. Wir übernehmen in vielen Bereichen Verantwortung für uns und andere: Wir führen ein Ehrenamt aus, sind Jugendtrainer, engagieren uns in der Schülervertretung unserer Schule und zahlen als Auszubildende oder im Nebenjob Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung – oder sind ganz einfach politisch aktiv!.
Trotzdem werden wir bei den entscheidenden Wahlen nicht gehört oder sogar bewusst politisch ignoriert und umgangen. Zukunftsentscheidungen bei der Rente, beim Klimaschutz oder in der Bildung werden ohne uns getroffen. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen müssen wir dann natürlich trotzdem tragen – von allen Beteiligten sogar am längsten.
Oma kann auch uninformiert sein
In der 18. Shell-Jugendstudie (2019) bekundeten 35 % der Jugendlichen, dass ihnen politisches Engagement wichtig sei. Entsprechend sind auch viele 16- und 17-Jährige ehrenamtlich in Parteien, Jugendorganisationen, Vereinen oder der Schülervertretung aktiv. Damit zeigen sie, dass sie in der Lage sind, sich mit unterschiedlichen Meinungen differenziert auseinanderzusetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese öffentlich zu vertreten. Folglich können sie auch genauso eine überlegte Wahlentscheidung treffen, wie alle Menschen ab 18. Und selbst wenn nicht, was ist daran eigentlich das Problem? Müssen sich 27-, 37- oder 47-jährige für jede Wahlentscheidung rechtfertigen? Beweisen, dass sie sich ja auch umfassend informiert und drei Mal darüber geschlafen haben und ja nicht naiv wählen gehen? Nein, natürlich nicht. Und es ist auch nicht wichtig, ob jede Wahlentscheidung in vollem Bewusstsein aller Nebenwirkungen, Folgen und Argumente getroffen wird. Das kann niemand kontrollieren und das ist auch in Ordnung. So funktioniert Demokratie. Umso schädlicher ist es, wenn nur eine spezifische Personengruppe die von ihrem Milieu gefärbten “dummen/naiven” Entscheidungen treffen darf.
We’re all in this together
“Politik ist der Ort, an dem wir ausmachen, wie wir miteinander leben” (Matthias Strolz). Deshalb ist es wichtig, dass auch junge Menschen an diesem Ort vertreten sind. Allerdings sind nur 19,6 % der Bundestagsabgeordneten unter 40 und lediglich 2,3 % unter 30. In der wahlberechtigten Bevölkerung zeigt sich ein ähnliches Bild. Bei der Bundestagswahl 2017 war die Gruppe der über 60-Jährigen am größten. Ein aktives Wahlrecht für 16- und 17-Jährige würde Balance herstellen zugunsten der jungen Generation verbessern, aber vor allem brauchen wir auch ein passives Wahlrecht, denn auch die junge Generation braucht sicht- und hörbare parlamentarische Stimmen. Wem das Bild eines 19- oder 20-jährigen Bundestagsabgeordneten erst einmal merkwürdig vorkommt, der kann sich gerne einmal selbst fragen, woran das eigentlich liegt? Wir nehmen es viel zu selbstverständlich hin, dass pauschal auf junge Menschen herabgeblickt und ihnen nichts zugetraut wird. Das ist eine Mentalitätsfrage, die sich ganz grundsätzlich ändern muss, denn die Folge ist, dass man eben auch die Anliegen dieser jungen Generation nicht ernst nimmt und sie bei Seite schiebt. Wer diese Haltung noch weiter verfestigen will, der verfestigt auch bereits früh Politikverdrossenheit.
Meine Themen, deine Themen
Viele politische Entscheidungen von heute betreffen in besonderem Maße die junge Generation. Das gilt für Rentenpolitik, Klimawandel und Neuverschuldung, aber auch für fehlende Investitionen in Zukunftstechnologien oder ein chancengerechtes Bildungssystem. Junge Menschen müssen bei diesen wichtigen Themen mitentscheiden dürfen. Nicht nur, weil sie betroffen sind, sondern weil sie durch eine vollkommen andere, zum Beispiel technologische, Sozialisierung auch zu manchen Themen überhaupt eine Position haben, die die ältere Generation gar nicht interessiert. Fragt mal einen Anfang 50-Jährigen, wie er zu Artikel 13 steht. Eine beachtliche Mehrheit dürfte nicht einmal wissen, worum es thematisch überhaupt geht. Soll der 50-Jährige jetzt nicht wählen dürfen, weil er uninformiert ist? Natürlich nicht. Dafür sollte es der 16-Jährige dürfen, wenn die EU versucht, über eine extrem einseitige Reform der Urheberrechtsgesetze – technisch unmögliche – Uploadfilter einzuführen und die Arbeit von vielen Youtubern unmöglich zu machen. Wie Youtube oder Twitch in 10 oder 20 Jahren aussehen wird auch dann den 50-Jährigen sicher herzlich wenig interessieren. Für den 16-Jährigen ist das jedoch ein Teil seines täglichen Medienkonsums und deshalb ist es auch sein legitimes Recht, darüber mitzuentscheiden, wie diese Plattformen gesetzlich geregelt sein sollen.
Demokratie braucht frühe Partizipation
Eine frühe Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen schärft das politische Bewusstsein junger Menschen und stärkt ihre Bindung an unsere Demokratie. Sie beugt also Politikverdrossenheit vor. Gerade bei 16- und 17-Jährigen können die Schulen dazu beitragen und diesen Effekt verstärken, indem sie – auch abseits von Wahlkämpfen – Podiumsdiskussionen ausrichten oder mehr politische Diskussionen im Unterricht führen lassen. Studien zeigen: Je häufiger man hintereinander wählen geht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, das auch weiterhin zu tun – Wählen verstetigt sich. Nutzen wir also das große politische Interesse junger Menschen und machen sie zu demokratischen Wiederholungstätern. Unsere Demokratie braucht frühe Partizipation.
Meinungen ändern sich
Blickt man jetzt auf die Wahlergebnisse in der Zielgruppe der 16- bis 18-jährigen, so finden sich im Unterschied zur Gesamtbevölkerung zumeist stärkere Ausschläge bei den Grünen. Viele sehen das als Argument gegen das Wahlalter 16. Doch was ist das für eine Einstellung zur Demokratie und zur eigenen politischen Überzeugung, wenn man nicht daran glaubt, dass sich diese Mehrheiten auch ändern können? DAS ist doch Demokratie. Menschen auch mit den eigenen Ideen und Überzeugungen umzustimmen, wenn die Mehrheit einmal kippt. Wer nicht glaubt, dass er mit seiner politischen Agenda auch junge Menschen überzeugen kann, der sollte sich vielleicht fragen, ob er ihnen einfach kein gutes Angebot macht? Auch das regelt der Markt. Wer zudem aufgrund einer fehlenden Mehrheit für die eigene politische Agenda bestimmten Altersgruppen das Wahlrecht vorenthalten möchte, zeigt ein mehr als fragwürdiges Demokratieverständnis. In großen Teilen des Ostens wählen die Menschen leider auch mehrheitlich Linkspartei. Sollte man ihnen deshalb das Wahlrecht entziehen? Das würde niemand ernsthaft fordern. Es ist unsere Aufgabe, als Demokraten auch an die Demokratie und unsere eigenen Überzeugungskräfte zu glauben. Nur so können wir gemeinsam demokratische Mehrheiten auch langfristig halten.
Junge Wähler! Manchmal wahlentscheinend!
Gerade bei uns Liberalen sollte das Thema Wahlrecht ab 16 eigentlich zahllose Türen öffnen. Das liegt einerseits an unserem klar positiven Menschenbild, der Eigenverantwortung, die wir auch 16-Jährigen zugestehen sollten. Gerade wir sollten übrigens auch damit leben können, wenn man sich in jungen Jahren einmal „verwählt“ oder im Laufe des Lebens seine Wahlentscheidung gravierend ändert. Wir gestehen dem Menschen eben auch Fehler zu, denn wir glauben an seine Erkenntnisfähigkeit. Jungen Menschen pauschal zu sagen „Nein, ihr dürft nicht wählen, denn wir halten euch alle für zu naiv.“ ist eine unfassbar bevormundende Haltung, die keinem Liberalen gut zu Gesicht steht. Dass außerdem liberale Argumente bei jungen Menschen ankommen, zeigt die FDP seit 2017 ununterbrochen. Sowohl bei der Bundestagswahl 2017 als auch den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, war der Wähleranteil der FDP bei den 18- bis 25-Jährigen deutlich höher als in allen anderen Altersschichten. In Brandenburg war er sogar mit 8% doppelt so hoch wie der Wählerschnitt und in Bayern sind wir nur dank der jungen Menschen überhaupt im Landtag. Es gibt also aus liberaler Sicht keinen Grund, vor der Stimme junger Menschen Angst zu haben. Ganz im Gegenteil: Wir sollten verdammt froh sein, dass junge Menschen uns so sehr vertrauen und dieses Vertrauen auch endlich in den gewählten Gesichtern unserer Partei spiegeln. Denn die gewählten Mandatsträger zeigen oftmals eine gänzlich andere Altersverteilung als unsere Wähler.
Let’s get it started
Gerade in unserer alternden Gesellschaft braucht es ein Wahlalter 16. Das wusste Österreich schon 2007. Junge Menschen dürfen auch anders wählen, als es Ältere oder konservative Parteien gerne hätten. So funktioniert Demokratie. Wie sie nicht funktioniert, ist durch das Übergehen und Ignorieren einer ganzen Altersgruppe. Das ist im Moment noch zu oft politische Realität und eindeutig kein Zukunftsmodell. Wer unsere Demokratie fit für die Zukunft machen will, der muss der Generation der Zukunft auch eine Stimme geben, um ihre Themen zu vertreten. Eine Absenkung des Wahlalters ist keine Gefahr für unsere Demokratie, sondern würde sie stärken und glaubwürdig verbreitern.