Das Wahlrecht ab 16 würde den zweiten Schritt vor dem ersten machen

[CONTRA-PART]: Ein Thema, zwei Meinungen!

Das Wahlrecht ab 16 polarisiert wie fast kein zweites Thema. Unsere Gastautorin Lilli erläutert, warum sie das Wahlrecht ab 16 ablehnt.

Wie wart ihr, als ihr 16 wart? Gut – die, die das hier lesen, werden vermutlich mit „Also ich habe mich damals schon brennend für Dahrendorf/Kant/Weber/Marx interessiert“ antworten und wussten schon ganz genau, welcher Bundesstaat für welche Partei stimmen wird, bei den US-amerikanischen Wahlen.

Ich nicht. Und ich kann sagen, dass die allermeisten meiner Peers das auch nicht wussten. Klimaschutz war kein Thema und wir waren froh, wenn Mama und Papa uns am Wochenende auch mal länger als Mitternacht ausgehen lassen haben, um den selbst gepanschten Kirschlikör eines Freundes zu trinken und Tischkicker im Keller eines anderen zu spielen.

Heute bin ich 20 und mache mir wieder Gedanken darüber, wie ich mit 16 war. Wie meine politische Bildung damals aussah und wie reflektiert ich schon Parteien, Programme und Personen einschätzen konnte. Auf dieser Basis haben sich für mich, heute wie damals, drei Punkte ergeben, die für mich hauptsächlich gegen das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre sprechen. Und daraus drei Punkte abgeleitet, die für mich die Grundvoraussetzung stellen würde, um es doch irgendwann zu tun.

1. Das Standardargument – nicht gern gehört, aber doch sehr richtig

Jetzt habe ich bereits einen kleinen Einblick gegeben, wie ich damals so mit 16 war. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich mich mit 16 nicht getraut habe, Schnaps zu kaufen. Ich sah sicherlich schon immer älter aus, als ich bin, und bin mir ziemlich sicher, dass ich auch mit 16 im Supermarkt um die Ecke eine Flasche Pfeffi hätte kaufen können, aber ich habe es mich nie getraut. Zu Recht: Es ist nicht erlaubt. Mit 16 darf ich keinen harten Alkohol trinken, ich bin nicht voll straffähig, darf kein Auto fahren, werde nach Jugendstrafrecht geahndet und meine Eltern haben das Sagen.

In diesem Zustand von “Ich will alles können, aber ich darf es noch nicht”, ist es für mich absurd, plötzlich schon wählen zu dürfen. Ein Bürgerrecht, das über die Zukunft des Landes oder meiner Stadt entscheidet, das maßgeblich über unser Deutschland von Morgen mitbestimmt, sollte nicht leichtfertig vergeben werden. Jemand, der für seine Taten nicht vollständig zur Rechenschaft gezogen werden kann, aber leichtfertig Extrem- oder Spaßparteien wählen könnte – dieses Konzept will mir nicht in den Kopf gehen und ist rechtlich, meiner Meinung nach, unsinnig.

2. Wie ich und meine Peers damals waren – wie politische Bildung helfen kann

Die erste Sache, die man an der Universität in der Politikdidaktik lernt, ist, dass man als Lehrer verantwortlich dafür ist, die Schülerinnen und Schüler zu reflektierten und kritischen Bürgern zu erziehen. Man hat keine Neutralitätspflicht, aber wenn man seine eigene Meinung zum Besten gibt, dann muss sie auch als solches gekennzeichnet werden. Als Sozialkundelehrer trägt man Verantwortung dafür, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende des Unterrichts kritisch abwägen können, wofür eine Partei steht und welches Programm auf meine Vision für Deutschland zutrifft. So habe ich diese Rolle zumindest immer verstanden.

Mit 16 Jahren hatte ich gerade einmal ein Jahr Sozialkundeunterricht gehabt. So heißt in Thüringen der Politik-Unterricht, der in der 9. Klasse anfängt. An dieser Stelle sei mir ein kleiner Vergleich dazu gestattet, wie unterschiedlich der Sozialkunde-/ GeWi-/ Politikunterricht in Deutschland strukturiert ist: Während man in Berlin möglicherweise nie in seiner Schullaufbahn richtigen Politikunterricht hat, weil es hier eher fakultativ angesiedelt ist, hat man in anderen Ländern ab Klassenstufe 5 Gesellschaftswissenschaft und Politik fest im Rahmenstundenplan verankert.

Bei einem Absenken des Wahlalters auf 16 kann es also in einigen Ländern sein, dass ich keine oder aber nur sehr wenige Stunden politische Bildung erfahren habe. Ich weiß nicht, wen ich wähle, was ich wähle, wer mittelbar und wer unmittelbar gewählt wird und ich bin auch ganz ehrlich: Früher war Angela Merkel in meinem Verständnis immer “Ober-Chef”. Heute weiß ich, es ist Frank-Walter Steinmeier. Natürlich kann man argumentieren, dass das auch mit meiner Allgemeinbildung damals zusammengehangen haben könnte. Es ist aber trauriger Fakt, dass sich nun mal nicht jeder 16-Jährige schon mal über Dahrendorf Gedanken gemacht hat. Nicht jede Familie redet am Abendbrot-Tisch über die Krim-Krise oder Fluchtursachen. Diese Schülerinnen und Schüler müssen trotzdem abgeholt werden und zu solchen reflektierten und kritischen Bürgern gemacht werden, wie ich sie oben beschrieben habe.

Auch heute gibt es zwischen meinen Peers und mir in dem politischen Interesse sicherlich große Unterschiede. Eines kann ich jedoch sagen: wir hatten alle mal das politische System der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht und wissen, wen wir wie wählen, wer mittelbar und unmittelbar gewählt wird und wie die “Hackordnung unserer Verfassung” ausschaut.

3. Politikverdrossenheit – Jugendbeteiligung ehrlich meinen und umsetzen

Mit 17 Jahren saß ich das erste Mal in einer Anhörung im Thüringer Landtag. Ich durfte damals, noch etwas pausbäckig nach einer Weisheitszahn-OP, für die Junge Union Thüringen zum Jugendbeteiligungskonzept Stellung beziehen. In der Anhörung und dem Gesetzentwurf wurden erstmals Jugendparlamente für alle Kreise in Thüringen vorgeschlagen. Vorpolitische Institutionen, die helfen sollen, Demokratie zu erlernen und Partizipation von Jugendlichen möglich zu machen. Ich war in dieser Ausschusssitzung die jüngste Anzuhörende. Alle anderen, die zu dem Thema „Jugend“ angehört wurden, konnte man am ehesten in die Kategorie „Berufs-Jugendliche“ verorten.

Heute ist es Maßgabe für alle Landkreise in Thüringen, ein Beteiligungsgremium für Jugendliche (beispielsweise Jugendräte) einzuführen. Ich habe in Erfurt gemeinsam mit einem sehr guten Freund das Schülerparlament gegründet, weil uns eben nicht gefallen hat, dass in den meisten Prozessen Jugendliche nicht beteiligt oder nur durch Berufsjugendliche vertreten wurden. Dieses Schülerparlament ist ein Erfolgsprojekt für unsere Stadt. Es lehrt Schülerinnen und Schüler frühzeitig Demokratie. Auch unsere Beteiligungsstruktur für Junge Menschen (BÄMM!) tut dies. Als wir jedoch im Entstehungsprozess des Parlamentes waren, war ich erstaunt, wie vielen ein solches Projekt egal schien. Sie nahmen die Gegebenheiten in Erfurt hin, wie sie waren. Beteiligung? Schön und gut, aber muss jetzt auch nicht sein.

Wie stelle ich mir also ein gelungenes Wahlrecht ab 16 Jahren vor und welche Voraussetzungen in Deutschland wünsche ich mir?

  1. Jugendbeteiligung muss von allen Landkreisen und Städten in Deutschland ernst gemeint sein. Schaufenster-Beteiligung hilft keinem. Jugendliche sollen durch solche Partizipationsmöglichkeiten für Politik begeistert werden. Das bedeutet für mich auch, dass Jugendliche direkt für ihre Entscheidungen verantwortlich sind. Es ist bewiesen, dass Jugendliche die Konsequenzen ihres Handelns nicht so reflektiert betrachten können wie Erwachsene (vgl. Kracke & Noack, 2019). Man muss ihnen also ein gewisses Feingefühl für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen lehren. Ich brauchte das auf jeden Fall.
  2. Politische Bildung muss früher und/oder intensiver beginnen – überall in Deutschland. Ich denke, dass Schülerinnen und Schüler in Klassenstufe sieben sehr wohl erstmals mit Politik und politischen Prozessen behelligt werden können. Unser aller Ansinnen sollte es sein, Schülerinnen und Schüler zu den oben beschriebenen mündigen, reflektierten und kritischen Bürgern zu machen. Ich denke nicht, dass jeder erst einmal alle Wahlprogramme lesen muss, um zu entscheiden, wen er wählt. Aber eine gewisse Vorstellung davon zu haben, wie die Gesellschaft aussehen soll, die sich die jeweiligen Parteien wünschen, das halte ich für vernünftig.

Ich denke, dass das Wahlrecht ab 16 hübsch ist, um Jugendlichen das Gefühl zu geben, mitentscheiden zu können. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass dieses Mitentscheiden und Mitwählen eine fundiertere Basis braucht. Eine aufgeklärtere, politischere und partizipationswilligere Jugend. Ich denke, dass wir auf dem Weg dorthin sind. Artikel 13 und Fridays For Future zeigen, dass sie sich einbringen wollen. Doch das ist leider nur ein Bruchteil der Jugendlichen, die am Ende auch mitwählen sollen. Wenn sie mitwählen sollen, dann sollte die Stimme der Jugend auch einen Impact haben. Und aktuell sehe ich nicht, dass bei 16-Jährigen eine Wahlbeteiligung entsteht, die diesen Impact auslösen kann.

Ich möchte jedoch dafür arbeiten, dass das irgendwann erreicht werden kann.


Der Gastbeitrag spiegelt die Meinung der Gastautorin wider.


Gastautorin

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