Clubhouse: Exklusiv, authentisch, vertraulich?

Bodo Ramelows Auftritt in einem Clubhouse-Raum schlägt hohe Wellen. Die Plattform rühmt sich mit Exklusivität. Aber stimmt das? Und wie vertraulich ist die Plattform wirklich?

Bilder: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag / unsplash.com; Bearbeitung: keepitliberal.de.

Clubhouse ist der neuste Schrei. Eine App, die vorher nie dagewesene Gesprächsräume mit interessanten Menschen schafft. Mit prominenten oder einflussreichen Persönlichkeiten diskutieren. Einfach das Gefühl haben, Teil eines Inner Circle zu sein, der einen Hauch von Exklusivität verspricht. Vermutlich ist gerade das im aktuellen tristen, traurigen und winterlich trüben Corona-Alltag “just what the doctor ordered”.

Believe the Hype!

Der Clubhouse-Hype hat auch Politik-Twitter mitgerissen. Es wurden Einladungen zur App verkauft; alte iPhones reaktiviert. It was a perfect storm – für die Investoren und Anteilseigner von Clubhouse. Einige Personen scheinen dieser App die Aura des Clubhouse-eigenen Marketingsprechs voll und ganz abzunehmen: Exklusivität, Authenzität, Zugänglichkeit für jeden. Gewohnte Gepflogenheiten für Gespräche im öffentlichen Raum werden fallen gelassen. Nicht nur von unerfahrenen Usern, sondern von Medienprofis. Medienprofis aus den höchsten Positionen der deutschen Politik mit jahrzehntelanger Erfahrung.

Freedom of the Press vs. Privacy

Es geht um den Artikel von Johannes Boie über die Geschehnisse auf Clubhouse am vergangenen Freitagabend (22.01.2021, Anm. d. Red.). Kurz: Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die LINKE) hat in einer lockeren Talkrunde – mit einer vierstelligen Zuhörerzahl – einige Äußerungen getätigt, die er so sicherlich nicht in einem ARD-Sommerinterview herausposaunt hätte. Die Bundeskanzlerin als „Merkelchen“ zu bezeichnen oder die Aussage, während der Ministerpräsidentenkonferenzen über die Corona-Maßnahmen auf dem Smartphone Candy Crush Saga zu spielen, dürften normalerweise nicht zum Repertoire seiner politischen Kommunikation zählen.

Am gestrigen Samstagabend (23.01.2021, Anm. d. Red.) versammelte sich nun eine Runde von Journalisten, Politikern und Tausenden von Zuhörern auf Clubhouse. Man wollte nicht nur über die App selbst reden, sondern auch über die Moral der Veröffentlichung journalistischer Artikel basierend auf Clubhouse-Gesprächen. Das Argument, dass die AGB von Clubhouse eine Verwendung von Gesprächsinhalten nur mit Zustimmung des Urhebers vorsehen, wurde dabei mehrmals angeführt. Bodo Ramelow habe ja gar nicht wissen können, dass so etwas veröffentlicht werden könnte. Es fühle sich so an, wie ein Gespräch mit Journalisten im privaten Rahmen – nach dem Interview – „off the record“, an der Bar. Auf der anderen Seite steht das Argument, dass die Äußerungen Ramelows gehörigen Nachrichtengehalt gehabt hätten und dass ein Journalist darüber berichten dürfe oder sogar müsse.

Ich werde im Folgenden nur über Dinge aus diesen beiden Clubhouse-Calls berichten, die bereits in Medien mit sehr großer Reichweite öffentlich wurden. An Leaks weiterer Gesprächsinhalte wird sich dieser Artikel nicht beteiligen, sondern sich um eine grundsätzliche Diskussion bemühen.

The Vegas Rule

Menschen mit persönlicher Erfahrung im Business-Kontext kennen sicherlich die sogenannte Vegas Rule. Anders als ein Non Disclosure Agreement (NDA) ist es keine vertragliche Verpflichtung zur Geheimhaltung von bestimmten Inhalten, sondern ein Gentlemen’s Agreement: Was geäußert wird, soll den Raum nicht verlassen – „What happens in Vegas, stays in Vegas.“

Die meisten Meetings, die unter die Vegas Rule fallen, sind deutlich glanzloser als ein glitzerndes Partywochenende in der „Sin City“. Trotzdem müssen sie nicht unspektakulär sein. Während meines Studiums und einiger meiner Arbeitserfahrungen hatte ich das Glück, einige solcher Meetings mitzuerleben, in denen Top-Manager, prominente Menschen oder andere Menschen, die in der Öffentlichkeit nicht immer so frei sprechen und in deutlich privaterer Atmosphäre mehr Authentizität bieten können, Dinge aussprechen, die sie öffentlich nicht so verbalisieren könnten. Man kann viel lernen, wenn ein erfahrener Unternehmensberater über den Umgang mit schwierigen Kunden erzählt oder bekannte Top-Manager auch einmal ungeschönte Einblicke in ihre Erlebnisse teilen können, ohne Angst haben zu müssen, dass dies nach außen gelangt.

Es handelt sich hierbei nicht um kompromittierende Aussagen oder ein Lästern hinter verschlossenen Türen, sondern viel mehr um das Weiterreichen wertvoller, lehrreicher Erfahrungen. Oder um Unterhaltungen, die in anderen Fällen einfach nur interessante Gespräche mit spannenden Menschen waren. Die Vegas Rule ermöglicht gewisse Gesprächsformate erst und ich bin froh, dass es diese Meetings gibt. Seien es Gastvorträge an einer Universität mit einem privaten Gespräch danach oder Interviews, die man im Rahmen einer Arbeit führen muss, bei denen “off the record” interessante Unterhaltungen hat. Es ist wichtig, dass sich Gesprächspartner darauf verlassen können, dass diese Inhalte vertraulich bleiben. Auch ohne unterschriebenes NDA.

Fahrlässiger Umgang mit Social Media

Nun könnte man meinen: „Gut, dass es jetzt dieses Clubhouse gibt! Endlich eine Social-Media App, die jedem exklusiven Zugang zu solchen Unterhaltungen bietet!“ Hier liegt bereits der entscheidende Trugschluss: „Jedem exklusiv Zugang bieten“ – das ist das Oxymoron des Marketingkonstrukts, auf dem die ganze App fußt. Es ist schlussendlich nicht mehr als eine App, in der sich Menschen in Gesprächsräumen treffen können – mit ein oder zwei Besonderheiten. Zum Beispiel, dass man zuerst eine Einladung braucht, um einen Clubhouse-Account erstellen zu können. Danach darf man zwei weitere Personen einladen. Nur zwei? Wow, sehr exklusiv! Dementsprechend begehrt waren die Einladungen zu Beginn. Doch wer die populäre indische Legende mit den Reiskörnern auf dem Schachbrett kennt – oder wahlweise auch einfach Zweierpotenzen aus dem Mathematikunterricht – weiß ganz genau, dass diese Exklusivität nicht einmal so lange währen wird wie die durchschnittliche Amtszeit eines SPD-Parteivorsitzenden.

Dementsprechend mutet es seltsam an, dass ein Ministerpräsident fest im Glauben war, in einem privaten Raum zu sprechen. Anders als bei einer Gastvorlesung an einer Universität, die zudem auch nie völlige Privatsphäre garantiert, kann bei Clubhouse, in einem öffentlichen Raum, jeder jederzeit beitreten. Weder weiß man, wer überhaupt zuhört, noch befindet man sich physisch in einem Meeting-Raum oder Vorlesungssaal oder gar privaten Gespräch bei einem Business Dinner, bei dem solche Regeln zu den Gepflogenheiten gehören.

Natürlich werden die Gesprächsinhalte auf Clubhouse nicht nur durch Journalisten öffentlich gemacht. Bei Ramelows zweitem Clubhouse-Talk sind diese auf ganz Twitter zu finden und nicht zuletzt auch in privaten Chatgruppen, sodass letztendlich niemand weiß, welche Kreise die Inhalte ziehen.

Jeder hätte diesen beiden Gesprächsräumen beitreten können. Natürlich nur jeder, der auf Clubhouse ist. Eine Plattform, die einen exklusiven Zugang für ausgewählte Menschen bietet – laut Marketing. Wer dieses zur Corona-Zeit passende Spielchen der Verbreitung einer App mit einem R-Wert von 2 nach einer Woche als exklusiv betrachtet, der weiß entweder immer noch nicht, was eigentlich ein R-Wert ist, oder er hat exponentielles Wachstum nicht im Ansatz verstanden. Nichts an Clubhouse ist nach über einer Woche Massenverbreitung durch Einladungscodes exklusiv. Das sollten Medienprofis auch eigentlich wissen.

Der Mensch wünscht sich Exklusivität

Wieso hat Bodo Ramelow also eine Social Media App für einen exklusiven Gesprächsraum gehalten, aus dem nicht berichtet werden darf? Wegen der AGB, die er sich vorher durchgelesen hat? Unwahrscheinlich. Und auch unlogisch.

Was die Clubhouse-Welt im Innersten zusammenhält, ist die Illusion, Teil einer exklusiven Community zu sein. Einen Zugang zu Dingen zu erhalten, den man sonst nicht bekommt. Und ironischerweise geschieht auf dieser App genau das – auch in diesem Fall.

Doch wieso funktioniert dieses Konzept überhaupt? Es ist ein Lehrstück in Sachen Marketing für ein neues Produkts. Eine neue App kommt auf den Markt. Prominente oder hochrangige Personen nutzen sie bereits. Man liest davon, erhält aber selbst keinen Zugang zu diesem Inner Circle. „Fear of missing out“ – wie es der Millennial oder Digital Native nennt – kommt ins Spiel. Dann passiert es: Man ergattert einen dieser Codes, während die App noch neu und exklusiv ist. Man ist Teil dieses Inner Circle geworden und hat nun Zugang zu Kreisen, die zuvor völlig außer Reichweite waren. Die App wächst weiter. Sie verliert zwar ihre Exklusivität, aber das Marketing hat im Kopf des Einzelnen aber längst gewonnen. Es ist unwahrscheinlich, dass der Nutzer nun umdenkt und sich sagt: „It’s just another app!“ Besonders, weil die App handwerklich nicht schlecht gemacht ist und wirklich einiges zu bieten hat und, weil solche vermeintlich exklusiven Gesprächsräume geschaffen werden.

Erstaunlich ist, wie viele diese Eigenschaften nur aufgrund eines Textabschnitts in den AGB und des Marketings als exklusives Produkt auf eine App projizieren, die letztendlich nicht viel mehr ist als Twitter with a Twist – mit Sprache statt Text. Dass ein langjähriger Ministerpräsident und Medienprofi sich dieser Illusion hingibt, ist umso bemerkenswerter. Dabei ist er mehr Teil des Phänomens Clubhouse, das früher oder später an diesen Punkt kommen musste. Eine Gruppe, die das Marketing eines Konzerns für Realität hält, zieht andere mit in diesen Sog; die Illusion der exklusiven App Clubhouse lebt in den Köpfen dieser Menschen, obwohl die App längst Massenware ist.

Ist das am Ende nicht menschlich? Ja, natürlich! Wie häufig laufen wir Produkten hinterher, auf denen „Limited Edition“ steht? Wie viel Geld bezahlen Menschen in Nachtclubs nur für Exklusivität, wenn sie sich einen Tisch reservieren und wie viele andere zieht so etwas an? Und wie viele Menschen fahren nur einen Ferrari, weil es über 99% der anderen Menschen eben nicht können?

Das Gleiche gilt für Authentizität. Wer wünscht sich nicht, einmal ganz abseits der üblichen Floskeln in Talkshows mit Politikern reden zu können? Oder umgekehrt: Welcher Politiker würde nicht gerne einmal abseits des alltäglichen Politik- und Jounalismussprechs ganz authentisch mit anderen Menschen reden?

Die Bedürfnisse sind klar und verständlich. Aber Clubhouse ist definitiv die falsche Plattform, um sie zu befriedigen. Spitzenpolitiker werden nicht zuletzt für ihr Auftreten gewählt. Dafür, dass sie eben nicht in ZDF-Talkshows wie auf privaten Grillparties reden. Dass sie wissen, welche Art der Kommunikation wann die richtige ist. Sie wissen genau, dass tausende anonyme Zuschauer sicherlich nicht das richtige Publikum dafür sind, die Bundeskanzlerin „Merkelchen“ zu nennen. I didn’t make the rules – ich verbalisiere nur das, was jedem Medienprofi im Politik-Business sehr bewusst ist – oder zumindest sein sollte.

Clubhouse spricht nicht die Menschen an, die am dringendsten einen authentischen Zugang zu Politikern brauchen

Natürlich wäre es schön, wenn es mehr Plattformen für einen authentischen Austausch mit Politikern gäbe. Aber solche Gespräche sollten außerhalb von Clubhouse stattfinden. Dass man Clubhouse-Gespräche mit etwas technischem Knowhow unbemerkt aufzeichnen kann, sollte jedem bewusst sein.

Exklusivität wünsche ich mir hingegen in der politischen Kommunikation nicht – davon gibt es schon genug und diese ist bereits ein Problem. Wer sich mit Clubhouse einen Club der Auserwählten wünscht, der an den Inner Circles der Spitzenpolitik teilnehmen kann, der sollte sich fragen, ob er das wirklich für die Gesellschaft möchte. Insbesondere für die Menschen, die nicht auf Clubhouse sind und die sich auch einen authentischen Zugang wünschen. Medienprofis sollten eigentlich wissen, dass man sich besonders um die Menschen kümmern muss, die aktuell keinen Zugang mehr zur Politik finden. Menschen, die politikverdrossen sind und Gefahr laufen, in Populismus, Extremismus oder politische Gleichgültigkeit abzurutschen. Sich um diese Menschen zu kümmern ist deutlich wichtiger als irgendwelche nächtlichen Talks mit jungen Politik-Nerds auf Clubhouse.

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