„Die CDU nach so langer Zeit abzulösen, könnte ein wichtiges Signal des Aufbruchs für unser Land sein.“ Mit diesem Tweet entzündete Volker Wissing, rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft und designierter Generalsekretär der FDP, eine hitzige innerparteiliche Debatte um die Ausrichtung der FDP. Der alte Flügelstreit zwischen Sozialliberalen und Liberal-Konservativen, der seit Jahren schwelte, flammte auf. Wie zu erwarten gab es gerade aus dem Bereich der „grünen Realos“ und dem Kreis der Seeheimer Einiges an Zuspruch im Hinblick auf die Perspektive, die Union endlich in die Opposition schicken zu können.
Die sogenannte Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, den Grünen und den Freien Demokraten ist zwar mathematisch und theoretisch möglich, doch darüber hinaus kaum mehr als eine Fata Morgana in der flirrenden Luft der anstehenden Bundestagswahl 2021. Zwar gab es in der Geschichte von Bund und Ländern mehrere sozial-liberale Koalitionen, doch von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, ist ein heikles Unterfangen. Falsche Annahmen führen allzu leicht zu falschen Schlussfolgerungen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Fehlschlägen führen.
Eine gewandelte SPD
For better or worse: die SPD aus der Zeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt existiert heute nicht mehr. Wir sprechen heute von einer SPD, deren stellvertretender Bundesvorsitzender Kevin Kühnert locker flockig „[..]die Überwindung des Kapitalismus [..]“ fordert. Ein Kevin Kühnert, der wie selbstverständlich fordert, dass „[…] jeder maximal den Wohnraum besitzen [soll], in dem er selbst wohnt“. Wie sich diese Forderungen mit einem der zentralen Grundsätze des Liberalismus, dem Recht auf Eigentum, in Einklang bringen lassen sollen, konnte noch niemand darlegen.
Auch abseits dieser radikaleren Forderungen sind aus der SPD eher die Töne „mehr Staat“, „weniger Markt“, „mehr Kollektiv“ und „weniger Individuum“ zu hören. Saskia Esken schreibt auf Twitter schon mal salopp „Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung. So.“ . Von ihrem Co-Vorsitzenden Walter-Borjans sind keine überraschenden Bekenntnisse zum Liberalismus zu erwarten. Dieser zeigt sich hingegen eher als Vertreter einer neuen, linkeren SPD, von seinem Vorschlag zur Bodenwertzuwachssteuer 1 über seine teilweise verfassungswidrige Kursteuer bis hin zu gleich mehreren verfassungswidrigen Haushalten als Finanzminister in NRW. Seine Positionen sind eindeutig.
Einige Stimmen aus dem Umfeld der SPD prophezeien, mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat wären diese kollektivistischen Eskapaden beendet. Doch selbst bei wohlwollender Betrachtung der Politik von Olaf Scholz und der SPD im Allgemeinen lassen sich kaum Ansatzpunkte für eine liberale Politik finden. Zwar wirbt der Finanzminister mit einer Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, doch im Gegenzug dazu sollen sowohl die Spitzen- als auch die Reichensteuer steigen: zukünftig bereits ab einem Einkommen in Höhe von 200.000 EUR. Dieser Vorschlag ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen verheerend, die überproportional oft als Personengesellschaften firmieren. Und auch vom wahrscheinlich verfassungswidrigen Solidaritätszuschlag möchte sich die SPD nicht abwenden. Unternehmen und Spitzenverdiener sollen weiterhin zusätzlich belastet werden. Dabei könnte die Abschaffung des Soli positive Impulse an die Konjunktur und den Arbeitsmarkt senden, wie das Institut der deutschen Wirtschaft kürzlich feststellte.
Auch abseits der Steuerpolitik sind die Vorschläge der SPD nicht von Liberalität, sondern von Dirigismus geprägt. Welches Problem es auch zu lösen gilt: Eingriffe in den Markt erscheinen als das Mittel der Wahl. Ob im Wohnungs- oder Arbeitsmarkt mit Mindest- oder Höchstpreisen, es wird versucht, systematische Probleme mit schnellen, einfachen „Quick-Fixes“ zu beheben. Im Angesicht der Corona-Pandemie sollte man meinen, dass in Projekte wie die Digitalisierung der Verwaltung, Bildung oder den Abbau von Bürokratie investiert wird, doch Fehlanzeige. Lieber wird eine temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer beschlossen, deren Nutzen zumindest als fraglich bezeichnet werden kann. Auch beim Europäischen Wiederaufbaufond scheint die Bereitschaft der SPD, das Geld der Steuerzahler zu verschenken, recht hoch zu sein. Nur dank des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte konnten die Geschenke auf ein akzeptableres Maß reduziert werden.
Es lässt sich konstatieren: die SPD und auch die Grünen (der dritte Koalitionär im Bunde) sind nicht für ihre liberale Politik bekannt. Mit ihren progressiven Ansätzen in der Gesellschaftspolitik versuchen sie sich einen liberalen Anstrich zu geben, der aber bei genauem Hinsehen die illiberalen, kollektivistischen und staatsgläubigen Ansätze nicht verbergen kann. Wir Liberalen sollten uns nicht auf einen politischen Kuhhandel einlassen, bei dem wirtschaftlich Liberale zugunsten gesellschaftlich freiheitlicher Ideen aufgegeben werden.
Bundestagswahl 2021
Aus diesen Gründen darf es zur Bundestagswahl 2021 nicht auf einen „die CDU in die Opposition schicken“ Wahlkampf hinauslaufen. Wer es mit dem Liberalismus ernst meint, muss sich gegen einen einseitigen Wahlkampf positionieren. Gesellschaft und Wirtschaft werden zwar gerne als zwei entgegengesetzte Pole betrachtet, doch nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Wirtschaft und Gesellschaft sind auf die vielfältigsten und unterschiedlichsten Arten miteinander verbunden. Folglich kann die wirtschaftliche Freiheit nur dort bestehen, wo auch die gesellschaftliche Freiheit gewährleistet wird. Diese Interdependenz der Ordnungen (Freiheiten) beschreibt schon Eucken, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft.
Diese Interdependenz der Freiheiten wird von keiner anderen Partei so vertreten wie von der FDP. Sie ist damit einzigartig in der deutschen Parteienlandschaft. Deshalb darf sich die FDP nicht als Anhängsel zu einer der anderen Parteien verstehen. Die FDP ist eine eigenständige Partei – sie ist die Institutionalisierung des Liberalismus in Deutschland. Sie vertritt wie keine andere Partei die Werte der Freiheit, der Marktwirtschaft und des Aufstiegs. Damit ist die FDP die Partei der politischen Mitte und deshalb mit allen demokratischen Parteien prinzipiell koalitionsfähig.
Prinzipiell koalitionsfähig bedeutet aber auch, dass die FDP im Bundestagswahlkampf auf sich alleine gestellt ist. Ein Lagerwahlkampf mit der SPD oder der CDU wird dem Ideal des Liberalismus ganz einfach nicht gerecht. Deshalb ist der richtige Zeitpunkt, um über Koalitionen zu reden, nicht vor der Wahl, sondern nach der Wahl. Dazu braucht es, wie mein Kollege Michael ganz richtig dargelegt hat, ein klares liberales Profil mit allen Facetten, die der Liberalismus zu bieten hat.
Eine starke FDP hat das Potenzial, die Bundespolitik aus ihrem Winterschlaf zu rütteln und echte Fortschritte für die Bürger – sowohl in Wirtschaft als auch Gesellschaft – zu erreichen. Es gibt kein besseres Mittel als den Liberalismus, um Deutschland und Europa fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen.
- Diese Steuer würde dazu führen, das der theoretische Wertzuwachs einer Immobilie zu versteuern sei. Wie dieser Vorschlag mit den aktuellen Grundsätzen des Steuerrechts zu vereinbaren sein. Die Auswirkungen auf Eigentümer und Mieter können also nur als verheerend bezeichnet werden.[↩]